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Kennt die DSGVO eine „missbräuchliche“ Ausübung von Betroffenenrechten?
Im Rahmen der Diskussion um die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen nach Art. 15 DSGVO, wird immer wieder die Frage diskutiert, ob denn nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs bzw. der missbräuchlichen Ausübung des Betroffenenrechts vorgebracht werden kann. Denn machen wir uns nichts vor: in der Praxis werden in Situationen Art. 15 Anträge gestellt, in denen jeder weiß, dass es der betroffenen Person sicher nicht darum geht zu erfahren, welche Daten ein Verantwortlicher verarbeitet, sondern um Aufwand zu generieren und den Verantwortlichen ggfs. zu Fehlern zu zwingen. Ich habe einmal grob einige Ratsdokumente zur Entstehung der DSGVO zu dieser Frage ausgewertet. Denn im Rahmen der Anwendung der DSGVO ist die historische Auslegung eines von mehreren Elementen, die man in der Praxis nutzen kann und sollte. Zunächst zeigt sich, dass im Rahmen der Verhandlungen zur DSGVO und Art. 12 Abs. 4 (jetzt Art. 12 Abs. 5 DSGVO) mehrere Delegationen anstelle von „offenkundig unbegründet“ lieber „missbräuchlich“ in den Gesetzestext aufgenommen hätten (vgl. etwa Ratsdokument 7978/1/15REV 1, Fn. 59, PDF). Hierzu gehörten Deutschland, Spanien, Ungarn und Polen. Die Mehrzahl der Delegationen war dagegen. Dies zeigt, dass das Thema „Missbrauch“ durchaus gesehen und diskutiert wurde. Nur scheint es starke Meinungen gegen eine Aufnahme direkt im damaligen Art. 12 Abs. 4 DSGVO gegeben zu haben. Fraglich ist, was der Grund der Ablehnung war. Noch bis zum 11. Juni 2015 (Ratsdokument 9565/15, PDF) enthielt die Ratsfassung der DSGVO in ErwG 47 Abs. 2 folgenden Wortlaut: Bei offenkundig unbegründeten oder unverhältnismäßigen Anträgen, zum Beispiel wenn die betroffene Person ungebührlich und wiederholt Informationen verlangt oder wenn die betroffene Person ihr Recht auf Information missbraucht, beispielsweise indem sie in ihrem Antrag falsche oder irreführende Angaben macht, könnte sich der für die Verarbeitung Verantwortliche weigern, aufgrund des Antrags tätig zu werden. Es wird dort explizit auf einen Missbrauch durch Betroffene abgestellt. Man kann diesen Abs. 2 durchaus auch so lesen, dass der Missbrauch ein Unterfall des offenkundig unbegründeten Antrags ist. Wenn dem so wäre, kann man den Missbrauch auch jetzt in Art. 12 Abs. 5 DSGVO hineinlesen und als Ausnahme zulassen. Der damalige Gesetzestext des Art. 12 Abs. 4 DSGVO enthielt den Begriff „Missbrauch“ nicht. Zuvor fragte die Ratspräsidentschaft ab, wie Delegationen dazu stehen, dass im damaligen Art. 12 Abs. 4 „missbräuchlich“ aufgenommen wird. Polen befürwortete eine Aufnahme in Abs. 4 (Ratsdokument 7586/1/15 REV 1, 10. April 2015, S. 50, PDF). Interessant ist die Ansicht der portugiesischen Delegation. Dort sprach man sich für eine Beibehaltung von „offenkundig unbegründet“ aus, stellte jedoch zugleich die Verständnisfrage, ob denn nicht „offenkundig unbegründet“ ohnehin mit „offenkundig missbräuchlich“ gleichzusetzen bzw. davon erfasst wäre (S. 58). Die portugiesische Delegation schien also davon auszugehen, dass man ruhig „offenkundig unbegründet“ im Text belassen könne, da dies wohl „missbräuchlich“ umfasse. Der komplette obige Abs. 2 des ErwG 47 wurde dann im Dokument zur allgemeinen Ausrichtung (General Approach) des Rates gestrichen (Ratsdokument 10391/15, 8. Juli 2015, PDF). Ohne nähere Begründung und insbesondere auch ohne Änderung des damaligen Art. 12 Abs. 4 DSGVO. Dieser blieb unverändert, wie in der Fassung, in der ErwG 47 Abs. 2 noch vorhanden war. Was bedeutet dies? Nun, darüber lässt sich sicher gut diskutieren. Eventuell meinten die Delegationen, dass Abs. 2 des ErwG 47 überflüssig sei, da er ohnehin so in Art. 12 Abs. 4 abgebildet war und man „missbräuchlich“ (wohl wie etwa Portugal) in Abs. 4 mit hineinlesen kann. Das hätte natürlich durchaus Auswirkungen auf unsere Praxis. Oder aber, Abs. 2 des ErwG 47 war dann im Rat zu umstritten und man hat ihn lieber in Gänze entfernt. Fraglich ist dann, ob der mögliche Streit an der Ausnahmeregelung einer „missbräuchlichen“ Ausübung hing. Dazu habe ich leider keine Begründung gefunden. Meines Erachtens, bietet diese historische Analyse daher Argumente für beide Seiten der Diskussion: jene, die einen Missbrauch von Betroffenenrechten in der DSGVO nicht geregelt sehen und daher ablehnen, als auch jene, die den Missbrauch als Unterfall der „unbegründeten“ Ausübung mit in den jetzigen Art. 12 Abs. 5 DSGVO hineinliest.
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