In seinem gestrigen Urteil (Az. C?293/12 und C?594/12) zur Vereinbarkeit der Vorgaben der Richtlinie 2006/24 (VDS-RL, PDF) zur Vorratsdatenspeicherung, hat sich der EuGH naturgemäß mit den einzelnen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in nationalstaatliches Recht befasst. Die Richtlinie wurde, in ihrer jetzigen Ausformung, für nichtig erklärt (siehe hierzu die Urteilsbesprechung bei Hans Peter Lehofer), da die derzeit geltenden Vorgaben unverhältnismäßige Eingriffe in die europäischen Grundrechte auf Privatsphäre (Art. 7 Charta der Grundrechte der EU, Charta) und auf den Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 Charta) zur Folge hätten. Bisher kaum Beachtung scheinen jedoch einige, meines Erachtens für das allgegenwärtige Cloud Computing wichtige, Ausführungen des Gerichts gefunden zu haben.
In seinem Urteil prüft der EuGH ab Rz. 56 die Verhältnismäßigkeit der Vorgaben der VDS-RL im engeren Sinne. Die dort erlaubten Eingriffe in Grundrechte müssen auf das absolut notwendige Maß beschränkt sein. In Rz. 65 kommt das Gericht zu dem Schluss:
Somit ist festzustellen, dass die Richtlinie einen Eingriff in diese Grundrechte beinhaltet, der in der Rechtsordnung der Union von großem Ausmaß und von besonderer Schwere ist, ohne dass sie Bestimmungen enthielte, die zu gewährleisten vermögen, dass sich der Eingriff tatsächlich auf das absolut Notwendige beschränkt.
Maßnahmen zur Datensicherheit
„Gut“, möchte man denken. Damit ist die Prüfung abgeschlossen. Doch das Gericht fügt seiner Begründung noch drei weitere Randziffern (66-68) an. In diesen befasst es sich, freilich zunächst auch mit Blick auf die VDS-RL, mit der Sicherheit und dem Schutz von gespeicherten Daten. Der EuGH stellt fest, die VDS-RL keine ausreichenden Bestimmungen enthalte, dass die auf Vorrat gespeicherten Daten wirksam vor Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang zu ihnen und jeder unberechtigten Nutzung geschützt sind (Rz. 66).
Solche Vorgaben zum Schutz personenbezogener Daten und gerade auch in Bezug auf Maßnahmen zur Gewährung der Datensicherheit kennen wir aus der Datenschutz-Richtlinie, 95/46/EG (DS-RL, PDF). Dort bestimmt Art. 17 DS-RL entsprechende Pflichten für die verantwortliche Stelle. Im Falle einer Auftragsdatenverarbeitung, wenn also die tatsächlichen Verarbeitungsprozesse von einem Dritten wahrgenommen werden, bestimmt Art. 17 Abs. 2 DS-RL, dass die verantwortliche Stelle nur solche Auftragnehmer auswählen darf, die technische Sicherheitsmaßnahmen bereithalten. Zudem muss sich der Verantwortliche hiervon auch selbst überzeugen. Art. 17 Abs. 3 DS-RL bestimmt zudem, dass auch den Auftragsdatenverarbeiter selbst Pflichten zur Datensicherheit nach dem für ihn geltenden nationalen Datenschutzrecht treffen.
Cloud Computing
Diese Konstellation, die Datenverarbeitung durch einen Auftragnehmer, ist das typische Beispiel, welches den meisten Cloud Computing-Lösungen zugrunde liegt. Man nehme etwa den Anbieter eines Internet-Speicherdienstes: Der Anbieter der Cloud ist der Auftragsdatenverarbeiter (er selbst sitzt z. B. in den USA, seine Server stehen auf der ganzen Welt), der Kunde ist die verantwortliche Stelle (ob diese rechtliche Einschätzung in der heutigen Zeit noch angemessen erscheint, soll hier nicht diskutiert werden; sie ist nicht unumstritten, wird so aber etwa von der Art. 29 Datenschutzgruppe vertreten, siehe Stellungnahme WP 196, PDF).
Zurück zum Urteil des EuGH. Auch das Gericht verweist für erforderliche Sicherheitsmaßnahmen auf die Vorgaben des Art. 17 DS-RL (Rz. 67), deren Einhaltung, wir erinnern uns an das Beispiel, der Kunde des Speicherdienstes zu prüfen hätte und der Speicherdienst als Auftragnehmer auch selbst einsetzen müsste. Doch nun wird es interessant und relevant.
Datenspeicherung in Drittstaaten
Der EuGH kritisiert in Rz. 68, dass die VDS-RL im Rahmen der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen keine Vorgaben dazu macht, dass die Daten nur innerhalb des Unionsgebietes gespeichert werden dürfen. Hieraus folgert das Gericht, dass
es nicht als vollumfänglich gewährleistet angesehen werden kann, dass die Einhaltung der in den beiden vorstehenden Randnummern angesprochenen Erfordernisse des Datenschutzes und der Datensicherheit, wie in Art. 8 Abs. 3 der Charta ausdrücklich gefordert, durch eine unabhängige Stelle überwacht wird.
Der in dem Zitat angesprochene Art. 8 Abs. 3 Charta bestimmt, dass die Einhaltung der Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten durch eine unabhängige Stelle überwacht werden müssen. In der Praxis sind dies in Europa die Datenschutzbehörden.
Was bedeutet diese Aussage nun? Der EuGH scheint der Auffassung zu sein, dass Daten, welche auf Servern in Drittstaaten gespeichert werden, nicht dem Schutzniveau des Art. 8 Charta entsprechend geschützt werden können. Dies deshalb, weil in dem jeweiligen Drittstaat möglicherweise keine unabhängige Stelle existiert, welche die Einhaltung der Vorgaben zum Datenschutz und zur Datensicherheit überwacht. Nun mag man einwenden, dass es ja gerade für Fälle der Übermittlung von Daten in Drittstaaten etwa Standardvertragsklauseln gibt oder auch Angemessenheitsbeschlüsse der Kommission, die einem Drittstaat (oder einem gewissen Wirtschaftsbereich) ein angemessenes Schutzniveau bescheinigen. Auf diese Instrumente scheint das Gericht aber überhaupt nicht abzustellen. Sein Verweis bezieht sich vielmehr auf das Vorhandensein einer unabhängigen Stelle im Sinne des Art. 8 Abs. 3 Charta. Diese Überwachung durch unabhängige Datenschutzbehörden ist für den EuGH entscheidend.
Hiergegen mag man ins Feld führen, dass es ja auch in Drittstaaten unabhängige Behörden gibt, welche die Einhaltung des dortigen Datenschutzrechts überwachen. Doch auch diesbezüglich scheint der EuGH den Grundrechtsschutz des Art. 8 Charta äußerst streng zu nehmen, denn er führt aus:
Eine solche Überwachung auf der Grundlage des Unionsrechts ist aber ein wesentlicher Bestandteil der Wahrung des Schutzes der Betroffenen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten.
Das Gericht knüpft das Erfordernis der Überwachung durch eine unabhängige Stelle an die „Grundlage des Unionsrechts“. Es mag also durchaus unabhängige Datenschutzbehörden in Drittstaaten geben. Diese überwachen die Einhaltung von Vorgaben zur Datensicherheit und zum Datenschutz jedoch grundsätzlich nicht auf Grundlage des Unionsrechts. Vielmehr gilt für diese Behörden ihr jeweils nationales Recht. Ebenso muss für europäische Datenschutzbehörden festgestellt werden, dass diese ihre Überwachungsmaßnahmen nicht in Drittstaaten ausdehnen können. Sie sind hinsichtlich ihrer öffentlich-rechtlichen Befugnisse vielmehr territorial beschränkt. Man könnte sich nun fragen, wann denn überhaupt eine Behörde auf der Grundlage des Unionsrechts die Einhaltung von Datenschutz- und Datensicherheitsstandards in einem Drittstaat wirksam überwachen kann?
Lösungen und Konsequenzen
Als einziger Ansatzpunkt würde mir einfallen, dass man z. B. Angemessenheitsbeschlüsse (wie etwa Safe Harbor) oder auch Standardvertragsklauseln als eine solche Grundlage des Unionsrechts ansieht, nach deren Vorgaben der Verarbeiter im Drittstaat handeln muss. Freilich wird hierdurch nicht das Problem gelöst, dass eine europäische Datenschutzbehörde nicht im Drittstaat hoheitlich tätig werden kann, also dort nicht direkt auf „Grundlage des Unionrechts“ überwachen kann.
Denn die Safe Harbor-Entscheidung, ebenso wie die Standardvertragsklauseln der EU sehen für Kontrollstellen die Möglichkeit vor, Datenübermittlungen in ein Drittland auszusetzen. Also gegen den Verantwortlichen in der EU vorzugehen. Dies jedoch nicht etwa dann, wenn die Behörde den Auftragnehmer in dem Drittstaat selbst kontrolliert und etwa Mängel bei der Datensicherheit festgestellt hat. Die Befugnisse der europäischen Behörden greifen dann, wenn feststeht, dass der Verarbeiter in dem Drittstaat die an ihn gestellten Vorgaben (sei es aus Vertragsklauseln oder Angemessenheitsbeschlüssen) nicht einhalten kann. Für Informationen hierzu ist die jeweilige europäische Behörde aber freilich auf Angaben Dritter angewiesen, also etwa von Behörden in dem Drittstaat oder des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen selbst. Gut möglich, dass diese „mittelbare“ Überwachung ausreicht, um den Vorgaben des EuGH gerecht zu werden. Hierfür spricht meines Erachtens auch, dass der europäische Gesetzgeber die Datenschutz-Richtlinie mit entsprechenden Mechanismen zur Übermittlung und Speicherung von Daten in Drittstaaten ausgestaltet hat. Wohl wissend, dass nationale Behörden dann nur begrenzte Prüfmöglichkeiten besitzen. Und auch der EuGH selbst hat etwa in seinem Lindqvist-Urteil (Az. C-101/01) darauf hingewiesen, dass für die Mitgliedstaaten und die Kommission gewisse Pflichten zur Kontrolle solcher Datenübermittlungen bestehen (Rz. 63 ff.). Jedoch hat er diese Übermittlung nicht kategorisch ausgeschlossen oder von einer direkten Einflussnahmemöglichkeit europäischer Behörden abhängig gemacht (auch wenn die Frage der Voraussetzungen der Datenübermittlung dort nicht direkt Gegenstand der gerichtlichen Prüfung war und daher nicht vertieft wurde). Dennoch verbleibt ein gewisses Unwohlsein, welches sich vor allem aus der Deutlichkeit der Aussage des EuGH ergibt.
Ausblick
Die Ausführungen des EuGH zur Datenspeicherung in Drittstaaten sind durchaus bemerkenswert. Dies gerade vor dem Hintergrund der anhaltenden Diskussion um ein „Schengen-Routing“ und dem sog. Datenprotektionismus in Folge der Enthüllungen um die Überwachungstätigkeiten von Geheimdiensten. Wie dargestellt liegt die Konstellation der Speicherung von Daten in Drittstaaten vor allem auch dem Cloud Computing zugrunde. Ist die Cloud deshalb tot? Ich denke nicht. Denn die Ausführungen des EuGH sind dafür wohl von zu allgemeiner Natur. Dennoch stellen sich Fragen: Sollte eine Speicherung von personenbezogenen Daten in Ländern außerhalb der EU nun (unabhängig von der rechtlichen Grundlage der Übermittlung) nicht mehr möglich sein? Oder etwa nur wenn sich der Datenverarbeiter behördlichen Maßnahmen europäischer Stellen freiwillig unterwirft? Reicht die beschriebene „mittelbare“ Überwachungsmöglichkeit und dem folgend etwa Maßnahmen gegen den Verantwortlichen in der EU aus? Sollte dem nicht so sein, dann wäre dies ein Schritt zurück, hinter die Intention der geltenden DS-RL und würde der digitalen Wirtschaft und damit auch unserem täglichen Umgang mit Internetdiensten einen Bärendienst erweisen.