Entscheidungen zum Anspruch auf Schadensersatz und vor allem auf Schmerzensgeld (also Ersatz immaterieller Schäden) wegen Verstößen gegen die DSGVO sind noch sehr selten. Eine erste Entscheidung hierzu traf das AG Diez (Urteil vom 7.11.2018 – 8 C 130/18). Nun hat das Oberlandesgericht Dresden (OLG) in einem kürzlich erlassenen Beschluss (Beschluss vom 11.6.2019, Az.: 4 U 760/19, abrufbar hier in der Datenbank des OLG Sachsen und hier als PDF) weitere und umfassendere Ausführung zur Auslegung und Anwendung des Art. 82 DSGVO gemacht.
Sachverhalt
Der Kläger nimmt die Beklagte (Betreiberin eines sozialen Netzwerkes im Internet) wegen einer am 31.3.2018 erfolgten Löschung eines Posts und der Sperrung seines Kontos durch Versetzung in den read-only Modus auf Feststellung der Rechtswidrigkeit, Freischaltung des Beitrags, Auskunftserteilung, materiellen und immateriellen Schadensersatz und Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch.
Das Landgericht hat die Beklagte im Wege des Versäumnisurteils zur Wiederfreischaltung des Beitrags verurteilt und festgestellt, dass die Löschung/Sperrung rechtswidrig waren. Die übrigen Ansprüche hat es zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Berufung, die insbesondere die Auffassung vertritt, der Beitrag sei als zulässige Meinungsäußerung verfassungsrechtlich so weitgehend geschützt, dass dessen Löschung und die zeitweilige Sperrung des Nutzerkontos weitgehende Auskunfts- und Schadensersatzansprüche auslösten.
Entscheidung
Nach Auffassung des OLG scheiden vorliegend die geltend gemachten Ansprüche nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO aus.
Danach hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen.
Zum einen ist nach Ansicht des OLG bereits zweifelhaft, ob Art. 82 DSGVO auf die am 31.3.2018 erfolgte Löschung und die spätestens am 1.4.2018 beendete Sperrung Anwendung findet. Denn nach Art. 99 Abs. 2 DSGVO gilt die DSGVO erst ab dem 25. Mai 2018 unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. Anders als ein Anspruch auf Unterlassung einer Sperrung oder Freischaltung eines Accounts knüpft der hier geltend gemachte Anspruch an einen in der Vergangenheit liegenden und vollständig abgeschlossenen Sachverhalt an, der vor dem Inkrafttreten der DSGVO liegt.
Zum anderen kann eine Entscheidung zu dieser Frage aber dahinstehen, weil nach Auffassung des OLG die Voraussetzungen für einen Anspruch nach Art. 82 DSGVO ohnehin nicht vorliegen.
In der Löschung des Posts und der Sperrung des Accounts des Klägers liegt kein Verstoß gegen zwingende Vorgaben der DSGVO.
Die Erhebung und Verarbeitung (hierzu zählt das OLG auch die Löschung des Posts und die Sperrung des Kontos) der Daten des Klägers beruhen nämlich auf der vom Kläger vorab erteilten Zustimmung zu den Nutzungsbedingungen der Beklagten. Hier verweist das OLG auf Art. 6 Abs. 1 lit a DSGVO. Diese sei gerade nicht daran geknüpft, dass auch die Beklagte ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommt und umfasst daher auch Zeiträume, in denen der Account gesperrt ist.
Diesbezüglich ist meines Erachtens kritisch anzumerken, ob eine Zustimmung zu den Nutzungsbedingungen (also den AGB) tatsächlich als datenschutzrechtliche Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten angesehen werden. Denn man könnte überlegen, ob eine solche pauschale Einwilligung in einen kompletten Vertragstext wegen Unbestimmtheit nicht unwirksam ist. Nach ErwG 42 DSGVO sollte die betroffene Person, damit sie in Kenntnis der Sachlage einwilligen kann, mindestens wissen, wer der Verantwortliche ist und für welche Zwecke ihre personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen. Es sollte zudem nur dann davon ausgegangen werden, dass sie ihre Einwilligung freiwillig gegeben hat, wenn sie eine echte oder freie Wahl hat und somit in der Lage ist, die Einwilligung zu verweigern oder zurückzuziehen, ohne Nachteile zu erleiden.
Ob diese Anforderungen vorliegend erfüllt waren, wird vom OLG leider nicht weiter thematisiert. Eventuell ist das OLG hier eigentlich der Ansicht, dass die Löschung des Posts und die Sperrung des Kontos auch auf der Grundlage der Nutzungsbedingungen und Community Standards (also des Vertrages mit dem Betroffenen) zulässig ist. Dann wäre Rechtsgrundlage wohl eher Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO.
Zudem stellt das OLG fest, dass dem Kläger durch die Sperrung ein materieller oder immaterieller Schaden im Sinne des Art. 82 DSGVO nicht entstanden ist. Dann trifft das OLG eine relevante Aussage:
Die bloße Sperrung seiner Daten stellt ebenso wie der Datenverlust noch keinen Schaden im Sinne der DSGVO dar.
Diese Einschätzung kann sich etwa in Fällen von Datenschutzverletzungen (data breach) als praxisrelevant herausstellen. Nach Ansicht des OLG hat die behauptete Hemmung in der Persönlichkeitsentfaltung durch die dreitägige Sperrung allenfalls Bagatellcharakter.
Das OLG verweist dann auf Ansichten, dass eine wirksame Durchsetzung europäischen Datenschutzrechts einen Abschreckungseffekt und den Verzicht auf die nach bisherigem Recht geltende Erheblichkeitsschwelle erfordere. Jedoch
rechtfertigt dies keinen Ausgleich immaterieller Bagatellschäden. Das Datenschutzrecht schützt zwar per se ein subjektives Recht, das einen starken Bezug zum persönlichen Empfinden des Einzelnen hat. Dennoch ist Art. 82 nicht so auszulegen, dass er einen Schadensersatzanspruch bereits bei jeder individuell empfundenen Unannehmlichkeit oder bei Bagatellverstößen ohne ernsthafte Beeinträchtigung für das Selbstbild oder Ansehen einer Person begründet.
Das OLG positioniert sich hier also so klar, was die Frage des Ersatzes von Schäden bei unzulässigen Datenverarbeitungen betrifft. Ähnlich wie schon vor einiger Zeit geht das Gericht davon aus, dass „Bagatellverstöße“ nicht per se einen solchen Schadensersatz begründen. Die praktisch relevante Frage ist dann natürlich, wann die Erheblichkeitsschwelle zu einem Verstoß überschritten wird, der keine Bagatelle mehr darstellt. Als grobes Bewertungskriterium führt das OLG hierzu aus:
Anders mag dies in den Fällen sein, in denen der datenschutzrechtliche Verstoß eine Vielzahl von Personen in gleicher Weise betrifft und Ausdruck einer bewussten, rechtswidrigen und im großen Stil betriebenen Kommerzialisierung ist.
Zudem bringt das OLG dann noch einen weiteren, durchaus interessanten, Gedanken an. Zwar gehöre die Kommerzialisierung von Nutzerdaten zum Geschäftsmodell der Beklagten.
Die Sperrung des klägerischen Accounts befördert jedoch diese Kommerzialisierung nicht, sondern behindert sie vielmehr, weil der Kläger in dieser Zeit keine Daten „produziert“, die die Beklagte verwerten könnte.
Zuletzt vertritt das OLG die Ansicht, dass gegen eine Ausdehnung des immateriellen Schadensersatzes auf Bagatellschäden auch das erhebliche Missbrauchsrisiko spricht,
das mit der Schaffung eines auf Rechtsfolgenseite nahezu voraussetzungslosen Schmerzensgeldanspruchs gerade im Bereich des Datenschutzrechts einherginge.