Nach dem Schrems II Urteil des EuGH (C-311/18) versuchen europäische Verantwortliche und Auftragsverarbeiter, den Einsatz von Dienstleistern aus Drittstaaten und natürlich insbesondere aus den USA den Anforderungen des EuGH anzupassen. Immer wieder diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch, ob nicht eine Verlagerung der Daten auf Server in der EU eine Lösung wäre, selbst wenn diese durch ein Tochterunternehmer einer US-Muttergesellschaft betrieben werden. Denn in diesem Fall würde ja keine Übermittlung von Daten in die USA stattfinden.
US CLOUD Act
Wenn personenbezogene Daten über eine Tochtergesellschaft (oder direkt eine Niederlassung) einer amerikanischen Muttergesellschaft auf Server in Europa gehostet werden, wird in der Diskussion um mögliche Alternativen nach Schrems II oft der US CLOUD Act als Problem angeführt. Der US CLOUD Act (PDF) wurde im Jahr 2018 vom US-Kongress verabschiedet. Ziel des Gesetzes ist es u.a., US-Behörden das Recht zu geben, Daten von Unternehmen, die dem US-Recht unterliegen, für Strafverfolgungszwecke anzufordern. Explizit auch solche Daten, die außerhalb der USA gespeichert sind. Das bedeutet, dass auch personenbezogene Daten auf Servern in Europa angefordert werden können.
Gegebenenfalls kann es dann zu einem Konflikt zwischen US-Recht und der DSGVO kommen. Hierzu hatten sich schon einmal der EDSA und der EDSB in einer Stellungnahme geäußert (PDF).
Ein wichtiger Punkt im Rahmen des US CLOUD Act ist die Möglichkeit für betroffene Unternehmen, gegen eine behördliche Anfrage vorzugehen („may file a motion to modify or quash the legal process“). Zwar besteht diese Möglichkeit im Grundsatz, jedoch nur, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. Eine dieser Voraussetzungen ist, dass das Unternehmen gegen das Recht einer sog. „qualifying foreign government“ verstößt. Hierbei handelt es sich um Länder, die mit den USA ein spezielles executive agreement unter dem CLOUD Act abgeschlossen haben (“with which the United States has an executive agreement that has entered into force under section 25239”). Ein solches Abkommen hat bisher nur das Vereinigte Königreich mit den USA abgeschlossen. Die EU verhandelt zu diesem Thema noch mit den USA.
Ansicht der Landesregierung NRW
In einer aktuellen Antwort (PDF) aus Anfang Oktober 2020 im Landtag NRW hat sich die Landesregierung NRW nun zu diesem Themenkomplex geäußert. Es ging dort um „LOGINEO NRW“, konkret den LOGINEO NRW Messenger. Der Messenger wird über einen AVV mit einem Dienstleister betrieben, der wiederum als Subdienstleister die „AWS EMEA SARL, 38 Avenue John F. Kennedy, L-1855 Luxembourg“ einsetzt, also ein Tochterunternehmen von Amazon Web Services, Inc. In der Frage an die Landesregierung wird daher auch auf den US CLOUD Act und einen möglichen Konflikt mit der DSGVO eingegangen.
Die Landesregierung führt zunächst aus, dass sich die Betriebsserver für den Messengerdienst in einem zertifizierten Rechenzentrum in Frankfurt am Main befinden. Damit würden die Datenschutzgrundverordnung und das nationale Datenschutzrecht gelten. Diese Aussage ist meines Erachtens zumindest missverständlich. Denn allein der Serverstandort (oder: Ort der Datenspeicherung) ist für die Anwendbarkeit der DSGVO nicht relevant. Man wird hier aber in Bezug auf AWS mindestens von der Anwendbarkeit der DSGVO über Art. 3 Abs. 1 DSGVO ausgehen können.
Sodann verweist die Landesregierung für die DSGVO-Compliance darauf, dass es AWS, nach der zu schließenden Auftragsverarbeitungsvereinbarung (diese ist auf der Webseite des Messengers abrufbar), untersagt sei, Daten außerhalb der EU und des europäischen Wirtschaftsraumes zu verarbeiten. Damit verweist die Landesregierung im Grunde auf den Zielkonflikt, dem Unternehmen unterliegen: welches Recht halten wir ein bzw. brechen wir? Wenn sich also hier z.B. der CLOUD Act und die DSGVO gegenüberstehen und die Unternehmen zwischen den Stühlen sitzen. Natürlich ist es möglich, dass vertraglich eine Weitergabe untersagt ist. Rein objektiv betrachtet wird es aber Situationen geben, in denen Unternehmen vor die Wahl gestellt sind, welcher Rechtsordnung sie den Vorzug geben. Dass dies nicht die gewünschte Situation sein kann, ist natürlich auch klar.
Zudem führt die Landesregierung konkret zum US CLOUD Act an:
Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der CLOUD Act nur dann einen Zugriff auf Daten zulässt, wenn eine rechtmäßige Verfügung einer amerikanischen Ermittlungsbehörde oder eines amerikanischen Gerichts vorausgegangen ist. Insofern unterscheidet sich die Rechtslage nicht von der Rechtslage in anderen Staaten, einschließlich Deutschlands.
Diese Aussage ist sicher auf für Unternehmen interessant, die gerade über eine Verlagerung der Datenspeicherung nach Europa denken. Nach Ansicht der Landesregierung ist der Prozess, der dem US CLOUD Act zugrunde liegt, nämlich jenem in Deutschland vergleichbar. Die Landesregierung argumentiert für die Zulässigkeit des Einsatzes von US-Dienstleistern (bzw. deren Tochtergesellschaften) also mit einer Vergleichbarkeit der Rechtslagen in den USA und Deutschland. Oder anders ausgedrückt: die Landesregierung sieht hier wohl Argumentationsspielraum dafür, von einer Gleichwertigkeit des Schutzniveaus für Daten auszugehen. Ich möchte hinsichtlich des Prozesses und konkret der Widerspruchsmöglichkeit für Unternehmen aber auch auf meine Ausführungen oben verweisen.
Interessant ist auch der Hinweis der Landesregierung, dass die Daten der Kommunikation sowohl „bei der Übertragung zwischen den Endgeräten der Nutzer und AWS als auch während der Speicherung bei AWS verschlüsselt“ seien und von an der Kommunikation Unbeteiligten nicht gelesen werden könnten. Meines Erachtens stellt sich dann aber die Frage, ob denn überhaupt eine Auftragsverarbeitungssituation vorliegt, wenn AWS keinen Zugriff auf verschlüsselte Daten hat. Bzw. wozu wird ein AVV abgeschlossen, wenn der Dienstleister gar nicht auf personenbezogene Daten zugreifen kann?
Ob die Ansicht zum US CLOUD Act auch deutsche Datenschutzbehörden teilen würden, ist meines Erachtens zumindest fraglich. Denn wie oben verlinkt, hat der EDSA sich zum US CLOUD Act bereits einmal inhaltlich geäußert und sieht wohl datenschutzrechtliche Probleme. Ich finde die Ansicht der Landesregierung dennoch interessant und meines Erachtens macht es für Unternehmen im Rahmen des internen Mappings von Drittlandsübermittlungen und der Prüfung des Schutzniveaus bei Empfängern in Drittländern durchaus Sinn, auch die Vorgaben des US CLOUD Act zu betrachten. Denn sollte es von Aufsichtsbehörden diesbezüglich, zB im Rahmen einer Prüfung, zu Rückfragen kommen, ist eine entsprechend dokumentierte Auseinandersetzung mit der Rechtslage in dem Drittland zu empfehlen.