Nach dem Urteil des BGH zum Themenkomplex „Scraping“ vom 18.11.2024 (VI ZR 10/24), haben wir gespannt darauf gewartet, wie die Gerichte die Vorgaben bzw. Begründungen des BGH in ihren Schadenersatzverfahren nach Art. 82 DSGVO berücksichtigen.
Mit Beschluss vom 09.01.2025 (Az. 5 U 173/23) hat sich das OLG Celle nun ausführlicher zu der Frage „Bemessung der Höhe eines immateriellen Schadensersatzes bei einem sog. Datenscraping-Vorfall“ befasst. Der Hinweisbeschluss bezieht sich allgemein auf sämtliche beim Senat anhängigen Verfahren aus dem Bereich „Datenscraping Facebook“, bei denen die jeweilige Klagepartei von einer spezifischen Rechtsanwaltskanzlei vertreten wird.
Wann gibt es 100 EUR Schadenersatz?
Hinsichtlich der Höhe eines immateriellen Schadensersatzes gelten nach Maßgabe des OLG folgende Annahmen:
- Der bloße objektive Kontrollverlust stellt bereits einen immateriellen Schaden dar und es bedarf keiner sich daraus entwickelnden besonderen Befürchtungen oder Ängste der betroffenen Klagepartei.
- Befürchtungen oder Ängste wären lediglich geeignet, den eingetretenen immateriellen Schaden noch zu vertiefen oder zu vergrößern.
- Für den bloßen Kontrollverlust als solchen würde der Senat einen immateriellen Schaden in Höhe von 100 EUR als angemessen ansehen.
- Mit diesen 100 EUR sieht das OLG „gewisse mit dem eingetretenen Kontrollverlust für die betroffene Klagepartei einhergehende „Folgeerscheinungen““ als erfasst an.
- Das OLG verweist auf den BGH und von ihm in seinem Urteil erwähnte „mit dem eingetretenen Kontrollverlust für jedermann unmittelbar zusammenhängenden Unannehmlichkeiten“.
- Das OLG erfasst mit den 100 EUR also zwei Aspekte: 1) den objektiven Kontrollverlust, 2) die für jedermann damit einhergehenden Unannehmlichkeiten. Diese sind mit den 100 EUR „mit abgegolten“.
- Machen Kläger in Scraping-Verfahren eine höhere Summe als Schaden geltend, so geht das OLG davon aus, dass das jeweilige Tatgericht zu prüfen hat, ob die behaupteten bzw. erstinstanzlich festgestellten „Folgeerscheinungen“ über diese Schwelle der „für jedermann unmittelbar zusammenhängenden Unannehmlichkeiten“ hinausgehen.
- Ist dem so, hat das Gericht auch die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Kläger und deren Anhörung zu prüfen. Hierbei muss das Gericht eruieren, ob die vorgebrachten „Folgeerscheinungen“ einen die Höhe von 100 EUR übersteigenden immateriellen Schadensersatz rechtfertigen.
Ganz grob geht das OLG also davon aus,
- dass in „normalen“ Scraping-Fällen (objektiver Kontrollverlust muss nachgewiesen sein) ein Schadenersatz von 100 EUR angemessen ist, um den Kontrollverlust und normale Folgeerscheinungen (zB Ängste und Befürchtungen) auszugleichen.
- Dass ein höherer Schadenersatz in Frage kommt, wenn die Kläger besondere Umstände und Folgen geltend machen; diese sind dem Tatgericht in persönlicher Anhörung darzulegen.
Ist das nun ein „pauschaler“ Schadenersatz?
Man kann nun wohl darüber streiten, ob die Ansicht des OLG schon zu einem „pauschalen“ Schadenersatzanspruch führt. Meines Erachtens nicht zwingend, da ja immer noch die Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 82 DSGVO erfüllt sein müssen (insb. etwa auch eine Kausalität). Allein ein Verstoß gegen die DSGVO führt also auch nach dem OLG Celle nicht zu einem Schadenersatzanspruch.
Die 100 EUR bezeichnet das OLG selbst bildlich als „Sockelwert“ – wichtig: es geht hier konkret um die Scraping-Verfahren.
Wann gibt es mehr als 100 EUR?
Möchten Betroffene, in diesen speziellen Scraping-Verfahren, mehr Schadenersatz haben, müssen sie dies im Zweifel durch persönliches Erscheinen bei Gericht darlegen.
Hierzu das OLG: „Nur das Vorbringen, das die jeweilige Klagepartei im Rahmen einer solchen Anhörung gemacht hat, ist aber für die erkennenden Tatgerichte maßgeblich, nicht das – möglicherweise davon abweichende – schriftsätzliche Vorbringen ihrer Prozessbevollmächtigten“.
Zudem äußert sich das OLG auch zu der Frage, wie hoch die Hürden für einen Schadenersatz von 500 EUR wären.
So hatte das LG Hannover in vielen der beim Senat anhängigen Verfahren einen immateriellen Schadensersatz in Höhe von 500 EUR ausgeurteilt – nachdem die Kläger persönlich angehört wurden.
Ob diese 500 EUR auch vor dem OLG halten, möchte das Gericht nicht ausschließen – jedoch werden Zweifel in dem Hinweisbeschluss sehr deutlich.
„Der Senat möchte nicht ausschließen, dass im Einzelfall auf Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen ein so hoher immaterieller Schadensersatz auch tatsächlich gerechtfertigt ist, allerdings dürfte dies dann nach dem Verständnis des Senats von dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom BGH 18. November 2024 ganz besonders erheblicher Umstände bedürfen“.
Hierfür nennt das OLG auch einen Beispielsfall: in einem Verfahren wurde vorgetragen, dass „aufgrund des Datenlecks und deren Auswirkungen die Klägerseite aufgrund von Angstzuständen in ärztlicher Behandlung“ sei. Ein solcher Vortrag würde – aus Sicht des OLG – das Tatgericht dazu verpflichten, im Bestreitensfalle die betreffende Klagepartei persönlich anzuhören.
Denn diese behauptete (psychische) Folgeerscheinung gehe evident (deutlich) über die Stufe der „mit dem eingetretenen Kontrollverlust für jedermann unmittelbar zusammenhängenden Unannehmlichkeiten“ hinaus.
Wenn sich das Tatgericht von der Richtigkeit dieses Vortrags überzeugt sieht, so so könne dies nach Auffassung des OLG durchaus einen immateriellen Schadensersatz in Höhe von zumindest 500 EUR (und ggf. sogar noch darüberhinausgehend) rechtfertigen.
Fazit
Die Ansicht des OLG wird nicht die erste und letzte zu dem Thema „Höhe des Schadenersatzes“ bei Datenschutzverstößen sein. Ich finde die Entscheidung des Gerichts hilfreich, da der Senat hier wirklich versucht, eine nachvollziehbare Linie zu entwickeln.
Diese geht davon aus, dass 100 EUR Schadenersatz für den objektiven Kontrollverlust und „normale“ Folgeerscheinungen gewährt werden – wenn die Voraussetzungen vorliegen. Damit sind wir natürlich auch meilenweit von Ankündigungen der Klägervertreter im Internet, auf YouTube und Instagram entfernt, die in Massenverfahren von bis zu 2.000 EUR, 3.000 EUR oder gar 5.000 EUR sprechen (oder sprachen).
Ein höherer Schadenersatz ist durchaus möglich, wird aber nur in der einzelnen, besonderen Situation und vor allem wohl nur nach persönlicher Anhörung der Kläger zu den besonderen Folgen begründbar sein.