Das OLG Hamburg hat mit Urteil vom 21.11.2013 (Az.: 5 U 68/10; hier als PDF) die gegen ein Urteil des LG Hamburg (Az.: 308 O 640/08) eingelegte Berufung der GEMA zurückgewiesen, welche die Deutsche Telekom als Access-Provider verpflichten lassen wollte, den Zugang zu einer bestimmten Internetseite zu sperren. Auf dieser Seite wurden Links und auch URLs bereits gehalten, die in die Adresszeile des Internetbrowsers kopiert werden konnten, um dann zu urheberrechtlich geschützten Liedern zu gelangen. Das OLG bestätigte die Entscheidung der vorherigen Instanz, ließ jedoch die Revision zu.
Keine Täterin oder Teilnehmerin
Das OLG bestätigt, dass die Telekom allein durch die Bereitstellung des Internetzugangs nicht als Täterin oder Teilnehmerin einer, über die benannten Internetseiten, begangenen Urheberrechtsverletzung anzusehen ist.
Die Beklagte vermittelt ihren Kunden als Access-Provider lediglich den Zugang zu allen im Internet vorhandenen Angeboten ohne hierbei von konkreten Inhalten Kenntnis zu nehmen. Die Beklagte betreibt das Internet nicht selbst und hat dieses auch nicht (mit-)begründet.
Keine Haftung als Störer
Auch eine, tatsächlich allein relevante, Störerhaftung gem. § 1004 Abs. 1 BGB i. V. m. §§ 97 Abs. 1, 19a UrhG der Telekom lehnt das OLG ab. Grundsätzlich bestehe jedoch die Möglichkeit, dass die Telekom als Access-Provider auch als Störer hafte.
Der, nicht unumstrittenen Ansicht des BGH, dass die Haftungsprivilegien der §§ 8 – 10 TMG auf Unterlassungsansprüche keine Anwendung finden, schließt sich das OLG an. Jedoch gelte es ihm Rahmen der notwendigen Erörterung einer Verletzung von Sorgfalts- und Prüfpflichten die Wertungen der Haftungsprivilegierungen zu berücksichtigen. Dazu ist unter Berücksichtigung der „Funktion und Aufgabenstellung des als Störer in Anspruch Genommenen sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung des unmittelbar handelnden Dritten zu beurteilen, wie weit die Prüfungspflichten eines möglichen Störers im Einzelfall reichen“.
Das OLG geht zunächst kurz darauf ein, dass durch das Bereitstellen von Links und URLs, die zu Dateien mit den streitgegenständlichen Musikwerken führen, auf der streitgegenständlichen Internetseite urheberrechtlich geschützte Belange der Klägerin verletzt werden. Auch dies ist keine Überraschung.
Auch liegt seitens der Telekom ein für die Störerhaftung erforderlicher adäquat kausaler Beitrag zu der Rechtsverletzung vor. Die Dienstleistung „Zugangsvermittlung zum World Wide Web“ für ihre Kunden führe nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge eben auch zum Aufruf rechtswidriger Inhalte im Internet.
Möglichkeit und Zumutbarkeit der Sperrung
Entscheidend kam es damit, wie auch schon im Urteil des LG, auf die Frage der Möglichkeit und der Zumutbarkeit der mit der begehrten Anordnung verbundenen Pflichten an. Diese müssen technisch möglich, rechtlich zulässig und der Telekom auch zumutbar sein.
Zwischen den Parteien war unstreitig, dass die in Rede stehenden Maßnahmen der Filterung des Datenverkehrs, einer URL-Sperre durch Verwendung eines „Zwangs-Proxys“, einer IP-Sperre und einer DNS-Sperre technisch möglich waren. Ebenfalls unstreitig war, dass sämtliche dieser technischen Maßnahmen zum Schutz gegen den Aufruf rechtsverletzender Inhalte im Internet (Filterung, IP-Sperre, URL-Sperre, DNS-Sperre) auch umgangen werden können. Gestritten wurde jedoch darum, ob die Umgehung relativ leicht zu bewerkstelligen ist oder ob die Maßnahmen zumindest weitgehend effektiv sind. Das OLG ließ diese Frage im Ergebnis offen. Denn sollten die Sperrmöglichkeiten letztlich weitgehend unwirksame, weil leicht zu umgehende, Mittel darstellen, wäre der Telekom deren Einsatz bereits nicht zumutbar. Aber auch dann, wenn es sich bei den Sperrmöglichkeiten um äußerst effektive Mittel handeln würde, wäre dies unzumutbar.
„Denn im Rahmen der Zumutbarkeit ist – wie bereits mehrfach betont wurde – auch die besondere Aufgabe der Beklagten als Access-Provider sowie ihre Interessenlage, die sich von den Interessen anderer (möglicher) Störer im Bereich der Telemedien unterscheidet, zu berücksichtigen.
Das OLG führt aus, dass die Tätigkeit der Telekom inhaltlich neutral erfolgt, sozial erwünscht ist und auch von der Rechtsordnung anerkannt ist. Ein Access-Provider stehe in keiner weiteren (inhaltlichen) Rechtsbeziehung zu dem betroffenen Rechtsverletzer. Zudem merkt das OLG an, dass jede der geforderten Maßnahmen die Gefahr in sich berge, dass gleichzeitig der Zugang zu rechtmäßigen Angeboten unterbunden wird. Eine gleichwohl angeordnete Sperrung hätte daher womöglich eine nachhaltige Beeinträchtigung der Rechte Dritter zur Folge.
Entscheidend kommt es dem OLG zuletzt darauf an,
dass der Einsatz technischer Mittel zur Sperrung des Zugriffs auf eine Internetseite die Gefahr vielfältiger Eingriffe in Grundrechtspositionen der Beklagten sowie Dritter mit sich bringt.
Das OLG folgt insbesondere der Auffassung des LG, welches sich mit der Frage eines Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 GG auseinandergesetzt und diesen bejaht hatte. Das OLG führt hierzu näher aus, dass dem Staat aus dem Grundgesetz Schutzpflichten obliegen, welche sich in Bezug auf das Fernmeldegeheimnis insbesondere in § 88 TKG konkretisiert haben. Nach § 88 Abs. 1 S. 1 TKG unterliegen dem Fernmeldegeheimnis der Inhalt und die näheren Umstände der Telekommunikation. Das OLG sieht IP-Adressen, URLs und DNS-Namen als solche „nähere Umstände der Telekommunikation“ an, die vom Schutz des Fernmeldegeheimnisses umfasst sind, wenn diese in Bezug zu einem Übertragungs- oder Verbindungsvorgang gesetzt werden. § 88 Abs. 3 S. 2 TKG bestimme ausdrücklich, dass Kenntnisse über Tatsachen, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, nur für den in Satz 1 genannten Zweck – mithin die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste einschließlich des Schutzes ihrer technischen Systeme – verwendet werden dürfen.
Wenn Access-Provider rechtswidrige Informationen im Internet mittels der vorgenannten Methoden sperren sollen, so müssen sie hierfür jedoch gerade auf ihre Kenntnis von näheren Umständen der Telekommunikation zurückgreifen, die sie bei der geschäftsmäßigen Erbringung ihrer Telekommunikationsdienste erlangen, wie zum Beispiel IP-Adresse, URL oder DNS-Name. Die Nutzung dieser Kenntnisse für die Erschwerung des Zugriffs auf ein bestimmtes Angebot im Internet ist von dem Zweck des § 88 Abs. 3 S. 1 TKG nicht gedeckt.
Zuletzt stellt das OLG klar, dass nach den bisherigen Aussagen eine Verpflichtung der Telekom zur Filterung des Datenverkehrs erst recht nicht in Betracht komme. Denn dabei müsste sie nicht nur Kenntnis von Informationen über Umstände eines Telekommunikations-Vorgangs nehmen,
sondern – darüber hinausgehend – auch von dessen Inhalt. Eine solche Maßnahme ginge mithin noch weiter als die dargestellten Sperrmaßnahmen und würde einen unmittelbaren Eingriff in den Kernbereich der durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützten Vertraulichkeit der Telekommunikation darstellen.
Ausblick
Das OLG befasst sich, wie auch schon das LG, teilweise sehr ausführlich mit den Auswirkungen von Sperr- und Filterpflichten auf die Telekommunikation und grundrechtlich geschützte Bereiche. Aufgrund der besonderen Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen wurde die Revision zugelassen und man darf gespannt sein, ob die GEMA auch noch die Einschätzung des BGH zu dieser Thematik hören möchte.
Dr. Reto Mantz bespricht das Urteil des OLG Hamburg ebenfalls in seinem Blog.
Pingback: Anmerkung zu OLG Hamburg, Urt. v. 21.11.2013 – 5 U 68/10: Keine Sperrpflichten für Access Provider | Offene Netze und Recht
Eine sehr sauber und ausführlich begründete Entscheidung! Die Frage ist m.E. wie es in der Sache nun weitergeht (bzw. weitergegangen ist – das Urteil ist ja schon von November 2013). Nach dem Urteil des EuGH i.S. UPC Telekabel (http://www.telemedicus.info/uploads/KuR_05_14_Beitrag_Assion.pdf) stellt sich nunmehr die Frage, ob die Ausführungen des OLG weiterhin Bestand haben können, oder ob die EuGH-Rechtsprechung nunmehr eine abweichende Lösung vorgibt. Zu dieser Frage würde ich an dieser Stelle gerne einige kurze Gedanken festhalten:
M.E. spricht viel dafür anzunehmen, dass die OLG-Rechtsprechung auch in einem Revisionsverfahren beim BGH weiterhin Bestand haben kann. Zum einen begründet das OLG Hamburg seine Entscheidung mit vielen Argumenten, die der EuGH überhaupt nicht anspricht – insbesondere äußert sich der EuGH nicht zum Fernmeldegeheimnis und den Auswirkungen der E-Commerce-Richtlinie. Zum anderen geht die Entscheidung des EuGH ja zunächst von einer bestimmten Auslegung des österreichischen Rechtes aus, die der OGH vorgenommen hat – der EuGH beantwortete im Rahmen des Vorlageverfahrens ja nur die Frage, ob *diese* Auslegung mit dem EU-Recht vereinbar ist. An die Auslegung des österreichischen Rechtes sind deutsche Gerichte deshalb nicht gebunden. Dies gilt insbesondere, weil die deutschen Gerichte bei der Auslegung des deutschen Rechts – anders als der EuGH – nicht nur EU-Sekundärrecht und die EU-Grundrechtecharta zu beachten haben, sondern auch das deutsche Gesetzesrecht und das GG.
Wenn also ein deutsches Gericht zu der Ansicht gelangt, dass eine Verpflichtung eines Access-Providers zu Netzsperren schon im Ausgangspunkt ausgeschlossen ist, stellt sich die Frage nach der *Vereinbarkeit* einer solchen Sperrpflicht mit dem EU-Recht nicht mehr. Die deutschen Gerichte könnten also immer noch an der Rechtsprechungslinie festhalten, dass *jede* Form der Netzsperre für den Provider (und die Drittbetroffenen) unzumutbar ist, so dass eine Netzsperre schon im Erkenntnisverfahren (und nicht erst, wie es der EuGH als ultima ratio fordert, im Vollstreckungsverfahren) durch das Gericht abgelehnt werden kann.
Offen bleibt damit lediglich die Frage, ob deutsche Gerichte aus Gründen, die in der Entscheidung i.S. UPC Telekabel *nicht* angesprochen sind, Netzsperren vorsehen müssen. Hierzu liegt bisher keine EuGH-Rechtsprechung vor, abgesehen von einigen Andeutungen in den Entscheidungen i.S. Scarlet Extended (Rs. C?70/10). Ich könnte mir vorstellen, dass eines der deutschen Gerichte dem EuGH noch die Frage vorlegt, ob es mit dem EU-Recht (speziell Art. 8 Abs. 3 der Enforcement-RL, Art. 11 Satz 2 der InsoSoc-RL) vereinbar ist, wenn das deutsche Recht generell keine Möglichkeit für Rechteinhaber vorsieht, in Zivilprozessverfahren gegenüber Access-Providern Internetsperren zu beantragen.
Ein solches Vorlageverfahren würde i.Ü. dem EuGH auch die Möglichkeit geben, seine sehr missverständliche Rechtsprechung i.S. UPC Telekabel zu korrigieren und eine saubere Grundrechtsprüfung durchzuführen – und zwar inklusive der Grundrechte der von Overblocking betroffenen Inhalteanbieter und des Telekommunikationsgeheimnisses.