Am 11. Juli 2024 wurden die Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache C-394/23veröffentlicht.
In dem anhängigen Rechtsstreit zwischen einem Verband auf einer Seite und der französischen Datenschutzaufsichtsbehörde CNIL sowie Transportunternehmen SNCF Connect auf der anderen Seite geht es um die Frage der Verarbeitung der Anrededaten von Kunden des SNCF Connect, das über seine Website und Apps Zugtickets, Abos und Ermäßigungskarten vertreibt. Nach Angaben des Unternehmens werden die Daten in der geschäftlichen Kommunikation mit den Kunden verwendet und seien hierfür auch erforderlich. Es handelt sich hierbei um Pflichtfelder im Bestellformular – die Kunden müssen also bei der Bestellung ihre Anrede als „Herr“ oder „Frau“ angeben.
Position des Verbands und bisheriges Verfahren
Der Verband beschwerte sich gegen SNCF Connect bei der Aufsichtsbehörde. Zur Begründung machte er geltend, die Erhebung der Anrededaten sei mangels Rechtsgrundlage nicht mit dem in Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO verankerten Grundsatz der Rechtmäßigkeit vereinbar. Zudem verstoße eine solche Erhebung gegen den Grundsatz der Datenminimierung und den Grundsatz der Richtigkeit, die in Art. 5 Abs. 1 lit. c bzw. d DSGVO festgelegt seien, sowie gegen die Transparenz- und Informationspflichten gem. Art. 13 DSGVO. Der Verband argumentierte insoweit, dass SNCF Connect die Anrededaten nicht erheben dürfe oder zumindest seinen Kunden alternative Möglichkeiten anbieten müsse, wie z. B. die Option „neutral“ oder „sonstige“. Die Datenschutzbehörde stellte keinen Verstoß gegen die DSGVO fest und der Verband reichte gegen diese Entscheidung eine Klage ein, im Rahmen welcher die Fragen dem EuGH vorgelegt wurden.
Ist die Angabe der Anrede erforderlich?
Die Erforderlichkeit wurde von dem Generalanwalt unter zwei Gesichtspunkten untersucht:
- Ist die Anrede der Kunden für die Erfüllung des Vertrags erforderlich? (Art. 6 Abs. 1 b) DSGVO)
- Ist die Angabe der Anrede zur Wahrung berechtigter Interessen im Hinblick auf die allgemeine Verkehrssitte in der personalisierten geschäftlichen Kommunikation erforderlich? (Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO)
Vertragserfüllung
In seinen Ausführungen stellt der Generalanwalt fest, dass der Hauptgegenstand des Vertrags vorliegend die Bereitstellung eines Fahrscheins ist. Es war daher zu prüfen, ob erstens die Anrededaten des Kunden verarbeitet werden, um einen Zweck zu erreichen, der notwendiger Bestandteil der Beförderungsdienstleistung ist, und ob zweitens diese Verarbeitung hierfür objektiv unerlässlich ist.
Nach Ansicht des Generalanwalts sei die Kommunikation mit dem Kunden als notwendiger Bestandteil des Beförderungsvertrags anzusehen. Denn die Bereitstellung des Fahrscheins setze die Kontaktaufnahme mit dem Kunden voraus, um diesem den Fahrschein zu übermitteln. Diese Notwendigkeit bestehe auch während der Beförderung fort, um den Kunden z.B. über die möglichen Störungen bei der Reise zu informieren.
Das Argument von SNCF, dass dieser Zweck in Übereinstimmung mit der Verkehrssitte in der geschäftlichen Kommunikation auch die Angabe der Anrede erfordert, wurde von dem Generalanwalt aber zurückgewiesen. Auch ohne geschlechtsspezifischer Anrede könne die Kommunikation durchgeführt werden. Dies werde unter anderem dadurch indiziert, dass die Anrede nicht bei jeder Kommunikation verwendet wird. So werden teilweise neutrale Formulierungen wie „Danke, gute Reise“ oder „Guten Tag“ benutzt.
Darüber hinaus sei die Verarbeitung der Anrededaten für die Erreichung des geltend gemachten Zwecks nicht unerlässlich und alternativlos. Sie gehe über das hinaus, was notwendig ist, um die ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrags zu ermöglichen. Denn die ordnungsgemäße Erfüllung des Beförderungsvertrags könne nicht von der Verwendung der Anrede in der Kommunikation abhängen, selbst wenn der für die Verarbeitung Verantwortliche mit seinen Kunden in personalisierter Weise kommunizieren möchte.
Interessenabwägung
Im Zusammenhang mit der Prüfung der berechtigten Interessen verweist der Generalanwalt auf das Urteil „Meta Platforms“ (C-252/21), wo der EuGH entschieden hat, dass die Verarbeitung nur dann erforderlich sei, wenn der Verantwortliche den Nutzern, bei denen die Daten erhoben wurden, ein mit der Datenverarbeitung verfolgtes berechtigtes Interesse mitgeteilt hat.
Hier vertritt der Generalanwalt daher eine strenge Ansicht (Rz. 56):
„Mit anderen Worten: Die aus der Nichteinhaltung der Informationspflicht nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. d DSGVO resultierende Sanktion ist die Rechtswidrigkeit der Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten.„
Aus der Nichteinhaltung der Informationspflicht nach Art. 13 Abs. 1 lit. d DSGVO resultiere also nach Ansicht des EuGH die Rechtswidrigkeit der Verarbeitung der personenbezogenen Daten. Da SNCF in der Datenschutzerklärung keine Angaben zu den konkreten Interessen hinsichtlich der Verarbeitung von Anrededaten gemacht hat, führe dies dazu, dass die Verarbeitung auf diese Rechtsgrundlage nicht gestützt werden könne.
Und nach Ansicht des Generalanwalts reichen auch nicht floskelhafte Verweise auf berechtigte Interessen aus (Rz. 58):
„Zum einen wird durch den bloßen Verweis auf ein berechtigtes Interesse ohne Angabe, worin genau dieses berechtigte Interesse besteht, die Informationspflicht nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. d DSGVO nicht erfüllt, die den Verantwortlichen verpflichtet, das verfolgte berechtigte Interesse mitzuteilen.„
In der weiteren Prüfung befasst sich der Generalanwalt mit den einzelnen Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO und stellt fest, dass obwohl die Kommunikation mit dem Kunden grds. als berechtigtes Interesse des Unternehmens anzusehen sei, die Verarbeitung von Anrededaten im konkreten Fall über das hinausgehe, was zur Erreichung des Zwecks der Kommunikation mit dem Kunden notwendig sei. Die Kommunikation könne – wie oben dargelegt – auch ohne Verwendung der Anrede erfolgen.
Auch die vernünftigen Erwartungen der Person reichen nach seiner Ansicht nicht für die Feststellung aus, dass das berechtigte Interesse des Verantwortlichen die Interessen der betroffenen Person überwiegt. Ein solcher Aspekt sei zwar im Rahmen der Abwägung erheblich, könne jedoch nicht automatisch dazu führen, dass das berechtigte Interesse des Verantwortlichen überwiegt.
Weitere Fragen
Grundsatz der Datenminimierung
Nach dem Grundsatz der Datenminimierung sei nach Ansicht des Generalanwalts zu prüfen, ob der Zweck der Verarbeitung nicht in zumutbarer Weise mit anderen Mitteln erreicht werden kann. Die Prüfung umfasse dabei nicht nur quantitative Aspekte, sondern auch die inhaltlichen.
Der Grundsatz der Datenminimierung gelte auch dann, wenn die Person in die Verarbeitung eingewilligt hat. Denn nur so kann ein hohes Schutzniveau für natürliche Personen bei der Verarbeitung ihrer personenbezogener Daten gewährleistet werden.
Widerspruchsrecht
Die letzte relevante Frage betrifft das Widerspruchsrecht der betroffenen Person nach Art. 21 Abs. 1 DSGVO und seine Bedeutung i.R.d. Beurteilung der Erforderlichkeit gem. Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO.
Es ergebe sich schon aus dem Wortlaut des Art. 21 Abs. 1 DSGVO, dass das Bestehen eines Widerspruchsrechts für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Verarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO in keiner Weise relevant sei, da die Geltendmachung des Rechts aus Art. 21 Abs. 1 DSGVO voraussetze, dass die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage bereits erfüllt seien.
Praktische Auswirkungen
Zwar bleibt noch die finale Entscheidung des EuGH abzuwarten. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass der Gerichtshof den Ausführungen des Generalanwalts weitgehend folgen wird.
Für die Praxis ist im Hinblick auf die Datenverarbeitung zur Vertragserfüllung festzuhalten, dass die Korrespondenz mit dem Kunden als Bestandteil des Vertrages anzusehen ist. Das ist insbesondre für E-Commerce-Unternehmen relevant, die ihre Kunden über diverse Updates zum Bestellstatus informieren wollen (z.B. Versandbestätigung, Änderung des Lieferdatums usw.). Dabei ist aber zu beachten, dass die erhobenen Daten auch tatsächlich für die Kommunikation (oder sonstige vertragliche Zwecke) benutzt werden. Sollten bei manchen Kunden diese Daten verwendet werden, bei anderen aber nicht, dürfte dies gerade gegen eine generelle Erforderlichkeit im Rahmen der Vertragsdurchführung sprechen. Es reicht nicht, wenn die Verwendung des Datums inkonsistent bzw. nur gelegentlich erfolgt. Anders ausgedrückt: ganz oder gar nicht.
Für die Verarbeitung von Daten auf Grundlage berechtigter Interessen gilt, dass die mangelhafte Erfüllung der spezifischen Informationspflichten zu den berechtigten Interessen dazu führen kann, dass diese Interessen (über die nicht informiert wurde) nicht als Verarbeitungsgrundlage genutzt werden dürfen. Eine falsche bzw. inhaltlich mangelhafte Information kann hier im Ergebnis zur Rechtswidrigkeit der Verarbeitung führen – selbst wenn berechtigte Interessen vorliegen, über die nur eben nicht informiert wurde.
Unternehmen müssen darauf achten, konkrete Interessen für Verarbeitungsvorgänge bei der Erhebung der Daten zu benennen. Allein die vernünftigen Erwartungen der betroffenen Person führen nicht dazu, dass die Interessenabwägung zugunsten des Verantwortlichen ausfällt, obwohl sie bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind.