Der Bundeskanzler, der Vizekanzler und der Bundesminister der Finanzen haben sich am 5. Juli 2024 auf eine „umfassende Wachstumsinitiative“ geeinigt. Der Text des Dokuments ist hier abrufbar (PDF). Laut der Einleitung hat sich die Bundesregierung auf ein umfassendes Maßnahmenpaket verständigt, das der deutschen Wirtschaft umgehend Impulse für mehr wirtschaftliche Dynamik geben wird.
Zum Zeitplan (immerhin ist bald Sommerpause im Parlament und im September 2025 stehen Bundestagswahlen an) wird dort beschrieben, dass die Bundesregierung die in diesem Paket enthaltenen Maßnahmen „nun schnell umsetzen“ werde. Soweit es neuer Gesetze oder weiterer gesetzlicher Anpassungen bedarf, werden die entsprechenden Regelungsvorschläge gemeinsam mit dem Haushaltsgesetz oder später im zweiten Halbjahr 2024 im Kabinett beschlossen. Klingt aus meiner Sicht sehr optimistisch.
Nachfolgend möchte ich schlaglichtartig einen Blick auf die Vorschläge und mögliche Konsequenzen im Bereich Datenschutzrecht werden.
Die Sicht der Bundesregierung auf den Datenschutz
Zunächst fällt auf, unter welchen Schlagworten die Parteien SPD, Die Grünen und die FDP den Datenschutzschutz verorten. Vorschläge im Bereich des Datenschutzrechts finden sich im Abschnitt „II. Unternehmerische Dynamik stärken: Unnötige Bürokratie abbauen“. Ein wenig mag man sich hierbei schon die Augen reiben. Parteien wie die SPD, die insbesondere für die Interessen der Arbeitnehmer (und damit den Mitarbeiterdatenschutz) eintritt oder Die Grünen, deren Mitglied und früheres Mitglied des Europäischen Parlaments, Jan Philipp Albrecht, die DSGVO überhaupt erst möglich gemacht hat, verstehen den Datenschutz als „unnötige Bürokratie“. Die FDP vertritt ohnehin die Position, dass der bürokratische Aufwand überprüft werden muss.
Ziel der Bundesregierung ist: die Anwendung datenschutzrechtlicher Anforderungen reduzieren. Das klingt zunächst politisch natürlich super – wer soll da widersprechen? Wenn wir uns gleich einige Vorschläge aus der Initiative anschauen, können Sie ja einmal für sich prüfen, welche Anforderungen dadurch auch tatsächlich reduziert werden.
Die Bundesregierung strebt in Abstimmung mit den Ländern folgende Maßnahmen an:
1. Zuständigkeitskonzentration bei einer Aufsichtsbehörde
„Für bestimmte Branchen/Sektoren wird mit den Ländern vereinbart, die Zuständigkeit bei der Aufsichtsbehörde eines Landes zu konzentrieren, damit es bundesweit für die Unternehmen eine Aufsicht und damit u.a. eine einheitliche Ansprechstelle mit besonderer Expertise für komplexe Fragestellungen gibt.“
Die Bundesregierung hat hier wahrscheinlich die Schaffung von ausschließlich zuständigen Aufsichtsbehörden für bestimmten Themenbereiche im Sinne. Bsp: alle Fragen des Online-Handels werden bei der Behörde in Hamburg gebündelt. Alle anderen Aufsichtsbehörden der Länder wären dann z.B. für Fragen des Datenschutzes bei Kunden- & Gastkonten, der Löschung von Kundendaten etc. nicht mehr zuständig.
Zunächst wird es hier aus meiner Sicht einer Herausforderung sein, die „Branchen/Sektoren“ für die Praxis und Aufsicht sauber zu trennen. Zum obigen Beispiel: gehört zum Online-Shopping auch das Tracking in der App / auf der Webseite? Gehören dazu auch Verarbeitungen von bloßen Webseitenbesuchern von Online-Shops, die aber noch nicht kaufen? Gehören hierzu auch Verträge mit Dienstleistern, die etwa eine Chatfunktion im Shop bereitstellen?
Zweitens wird eine solche Konzentration aus meiner Sicht für die betroffenen Unternehmen nicht immer „positiv ausgehen“. Bsp: Online-Shops werden in Zukunft allein aus Hamburg beaufsichtigt. Unternehmen mit Zentralen in Bayern, Baden-Württemberg oder etwa NRW erhalten für alltägliche Fragen zu ihrem Angebot damit neue Ansprechpartner und vor allem verschwindet damit für die Mehrheit der Unternehmen natürlich auch der lokale Bezug der Aufsichtsbehörden. Man mag es kaum glauben, aber ja, man kann (und viele Unternehmen tun dies sehr erfolgreich) mit seiner zuständigen Aufsicht proaktiv in den Austausch gehen – man kann sich vor Ort treffen, Trends besprechen und die Umsetzung des Datenschutzes proaktiv begleiten. Ob diese Arbeitsweise auch noch stattfindet, wenn allein eine (aus Sicht des Unternehmens unbekannte und weit entfernte) Behörde zuständig ist?
Nun mag man einwenden: heutzutage kein Problem. Dann macht man das alles per Videokonferenz. Das Bsp. Online-Shop ist natürlich nur eines von vielen Themen – bzw. knüpft die Regieurng ja eher an Branchen/Sektoren.
Ich gebe Ihnen ein anderes (sehr provokatives) Bsp: für Fragen des Datenschutzes im Automobilbereich (automatisiertes Fahren, Datenverarbeitung im Bereich Infotainment) ist in Zukunft Thüringen zuständig. Hersteller wie VW, BMW und Mercedes (aber auch 1st Tier Zulieferer) müssen dann in allen Fragen des Datenschutzes mit dieser einen Behörde sprechen – und ggfs. auch Kämpfe führen. Und das ist dann eben nicht mehr die Behörde vor Ort.
Meine Erfahrung mit Mandanten ist, dass Unternehmen mit der „eigenen“ Behöre oft sehr gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Und gerade diese, langjährige Zusammenarbeit, spart am Ende Aufwand im Datenschutzrecht, den man hätte, wenn man einfach mal „drauf los entwickelt“ und sich nicht abstimmt.
2. Verbindliche Beschlüsse der DSK
„Stärkere bundesweite Vereinheitlichung der Anwendung des Datenschutzrechts durch verbindliche Beschlüsse der Datenschutzkonferenz; damit Rechtsunsicherheiten und bürokratischer Aufwand für Unternehmen reduziert werden und die Unternehmen sich innerhalb von Deutschland auf eine möglichst einheitliche Anwendung durch die verschiedenen Aufsichtsbehörden der Länder verlassen können.“
Zunächst eine, aus meiner Sicht, gute Nachricht – die Regierung möchte die föderale Struktur der Behörden zumindest im Grundsatz weiter fortführen. In welcher inhaltlichen Form, wird sich zeigen, siehe Ziffer 1.
Die Beschlüsse der DSK sollen, wohl für die Aufsichtsbehörden selbst, bindend werden. Also eine Orientierung an Art. 65 DSGVO zur Streitbeilegung im EDSA. Eine solche Initiative ist aus meiner Sicht durchaus sinnvoll. Vor allem mit Blick auf die Rechts(un)sicherheit bei der Anwendung des Datenschutzrechts. Spannend wird natürlich dann, in welcher Form Rechtsschutzmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden selbst (Klagen gegen den Beschluss) und betroffener Unternehmen ausgestaltet werden, wenn Unternehmen inhaltlich nicht mit der Meinung der DSK übereinstimmen.
Einige Leser/innen wissen, dass ich ein großer Verfechter der föderalen Struktur in Deutschland und auch der manchmal unterschiedlichen Auslegungen des Datenschutzrechts bin. In der Praxis kommt es aus meiner Sicht einfach darauf an, was man aus den verschiedenen Ansichten von Datenschutzbehörden macht. Denn dies kann für Unternehmen durchaus auch positive Effekte (Stichwort: Bußgeldrisiko bei unterschiedlichen Meinungen der Aufsichtsbehörden?) haben. Als kleines lokales Unternehmen hat man andererseits immer die Möglichkeit, die Sichtweise seiner Aufsichtsbehörde zu folgen, um „Ruhe“ zu habe.
3. Weniger Datenschutzbeauftragte = besserer Datenschutz?
Aus meiner Sicht ein Evergreen der letzten Jahre. Die Regierung möchte § 38 BDSG zwar nicht mehr in Gänze streichen, nun aber (wieder einmal) die Benennungsschwelle erhöhen.
„Erhöhung der Schwelle, ab der Unternehmen einen Datenschutzbeauftragten bestellen müssen von derzeit 20 Mitarbeitenden auf 50 Mitarbeitende.“
Die Regierung betreibt hier aus meiner Sicht reinen Populismus. Denn: nur, weil ein kleines Unternehmen evtl. keinen DSB mehr benennen muss, bedeutet dies ja nicht, dass es sich nicht mehr an das Datenschutzrecht halten muss. Viele betroffenen Unternehmen denken aber so. Leider. Kein DSB, dann auch keine DSGVO.
Das ist ein absoluter Trugschluss, den die Regierung aber auch mit keinem Wort aufklärt. Weniger Bürokratie? Auf dem Papier entfällt ggfs. eine Pflicht. Jene zur Benennung des DSB. Aber dennoch müssen diese kleinen Unternehmen ja immer noch voll die DSGVO einhalten. Und wir können nun gemeinsam überlegen, wie gut dies in der Praxis funktioniert, wenn es in diesen Unternehmen keine zuständige Person mehr für Fragen des Datenschutzes geben soll. Wer kümmert sich dann (wenn überhaupt noch)? Am Ende könnte gerade diese Maßnahme sogar zu noch mehr Frust bei betroffenen Unternehmen führen, wenn gegen sie z.B. eine Beschwerde eingereicht wird und sie dann merken, dass die DSGVO dennoch voll anwendbar ist.
Achso, und noch ein kleiner Nachtrag: dass nach § 38 Abs. 1 S. 2 BDSG eigentlich ohnehin viele Unternehmen, auch mit weniger als 20 oder dann 50 Mitarbeitenden, einen DSB benötigen, wird natürlich auch nicht beachtet. Denn danach muss jedes Unternehmen, unabhängig von der Mitarbeiterzahl, einen DSB benennen, wenn die Voraussetzungen zur Durchführung einer DSFA nach Art. 35 DSGVO vorliegen. Und wenn man nun die Blacklists der DSK, der Aufsichtsbehörden und auch die Kriterienkataloge des EDSA betrachtet, ist man schneller in einer DSFA-Pflicht, als man „Piep“ sagen kann.
4. Europäische Ebene
Eher als Absichtserklärung zu verstehen, sind die geplanten Maßnahmen auf europäischer Ebene.
„Auf europäischer Ebene wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass a. die Anwendung und Durchsetzung der DSGVO auf europäischer Ebene mit dem Ziel der Vereinfachung harmonisiert und die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten (insbesondere im Europäischen Datenschutzausschuss) verbessert wird“.
Welche konkreten Maßnahmen die Regierung hier auf Ebene des EDSA im Blick, wird nicht klar. Aktuell geht die Tendenz auf europäischer Ebene aber aus meiner Sicht eher nicht Richtung „Vereinfachung“ der Zusammenarbeit der Behörden, sondern in die andere Richtung. Denn bald wird eine neue Verordnung zur Durchsetzung der DSGVO das Licht der Welt erbblicken, die Verordnung zur Festlegung zusätzlicher Verfahrensregeln für die Durchsetzung der Verordnung (EU) 2016/679. Aus meiner Sicht hat diese bislang in Deutschland noch wenige Platz in der Diskussion gefunden, obwohl sie einige extrem relevante Regelungen enthält. Hier ein Blogbetrag dazu von mir.
Randbemerkung zum Thema DSB.
Durch die Nichtberufung als DSB kommen doch mMn die Nichtjuristen, die seit Jahren die Unternehmen beraten, dann auch noch in Konflikt mit dem Verbot der Rechtsberatung. Das würde in vielen Fällen die Beratungskosten sogar erhöhen.
Danke Ihnen. Ja, würde ich auch vermuten – zumindest für jene Unternehmen, die auf den DSB verzichten und Datenschutzrecht dennoch umsetzen möchten.
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