In der Praxis ist die Geltendmachung und Bearbeitung von Betroffenenrechten der DSGVO ein wichtiges Thema. Dabei fällt auf, dass gerade Rechte wie der Auskunftsanspruch (Art. 15 DSGVO) oder das Recht auf Löschung (Art. 17 DSGVO) auch in Situationen geltend gemacht werden, in denen der Datenschutz ganz offensichtlich nicht im Fokus der Betroffenen steht. Sondern es geht, etwa in Verfahren vor Arbeitsgerichten, darum, der Gegenseite weiteren Aufwand zu machen bzw. diese, wenn möglich „auszuforschen“ (je nachdem, wie das Gericht den Umfang des Auskunftsrechts versteht). Oft stellt sich dann die Frage, ob denn der Verantwortliche nicht eine missbräuchliche Geltendmachung des Betroffenenrechts einwenden und die Erfüllung ablehnen kann. Mein Kollege Johannes Zwerschke und ich haben zu dem Thema „Missbräuchliche Ausübung von DS-GVO-Betroffenenrechten – zulässiger Verteidigungseinwand für Verantwortliche?“ einen Aufsatz in Heft 1/2022 der RDV veröffentlicht.
Merkmal „offenkundig unbegründet“
Fraglich ist hierbei unter anderem, wie das Merkmal „offenkundig unbegründet“ in Art. 12 Abs. 5 DSGVO in Bezug auf Anträge von Betroffenen zu verstehen ist. Die DSGVO gibt hierauf keine konkrete Antwort. Da es sich hierbei um unmittelbar anwendbares europäisches Recht handelt, ist das Merkmal nicht allein aus nationaler Sicht, sondern europarechtsautonom auszulegen.
Richtlinienvorschlag der Kommission zu missbräuchlichen Gerichtsverfahren
Spannend ist daher ein neuer Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vom 27.4.2022. Es geht um eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die sich öffentlich beteiligen, vor offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren („strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“) (COM(2022) 177 final, PDF). Hintergrund des Vorschlags ist der Wunsch, Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern vor missbräuchlichen Gerichtsverfahren zu schaffen. „Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“ oder „SLAPP-Klagen“ (strategic lawsuits against public participation) sind nach Ansicht der Kommission eine besondere Form der Belästigung, um Äußerungen zu Angelegenheiten im öffentlichen Interesse zu verhindern oder zu sanktionieren. Die vorgeschlagene Richtlinie „ermöglicht es Richtern, offenkundig missbräuchliche Klagen gegen Journalisten und Menschenrechtsverteidiger rasch abzuweisen“.
Und hier wird es natürlich für uns aus DSGVO-Sicht interessant. Zum einen verwendet die Richtlinie exakt dasselbe Merkmal wie die DSGVO („offenkundig unbegründet“). Zum anderen ist die Ausgangssituation auch sehr ähnlich: es geht darum zu verhindern, dass Rechte missbräuchlich genutzt werden. Die Parallele zu Situationen unter der DSGVO, ergibt sich etwa aus ErwG 20 der Richtlinie: „Bei missbräuchlichen Gerichtsverfahren handelt es sich in der Regel um bösgläubige Verfahrenstaktiken, z. B. die Verzögerung von Verfahren, das Verursachen unverhältnismäßig hoher Kosten für den Beklagten im Verfahren oder die Wahl des günstigsten Gerichtsstands“. Und: „Diese Taktiken werden von den Klägern zu anderen Zwecken eingesetzt, als um Zugang zur Justiz zu erhalten“.
Was versteht die Kommission unter „offenkundig unbegründet“?
Und was versteht die Kommission nun unter dem Begriff „offenkundig unbegründet“? Eine abschließende Definition dieses Merkmals bzw. des Oberbegriffs „missbräuchliche Gerichtsverfahren“ liefert die Richtlinie nicht. Art. 3 der Richtlinie zählt eine nicht erschöpfende Liste der häufigsten Indikatoren von Missbrauch auf. Darunter fallen nach Ansicht der Kommission:
- Unverhältnismäßigkeit,
- Maßlosigkeit oder
- Unangemessenheit der Forderung oder eines Teils davon,
- Vorhandensein mehrerer Verfahren, die vom Antragsteller oder mit ihm verbundenen Parteien in ähnlichen Angelegenheiten angestrengt wurden,
- Einschüchterungen, Belästigungen oder Drohungen von Seiten des Klägers oder seiner Vertreter.
In den Erläuterungen zu dem Entwurf geht die Kommission noch etwas genauer auf mögliche Merkmale ein, die meines Erachtens durchaus auch im Bereich der DSGVO herangezogen werden können.
„Bei missbräuchlichen Gerichtsverfahren handelt es sich häufig um bösgläubige Verfahrenspraktiken, z. B. die Verzögerung von Verfahren, das Verursachen unverhältnismäßig hoher Kosten für den Beklagten im Verfahren oder die Wahl des günstigsten Gerichtsstands. Diese Taktiken, die von den Klägern zu anderen Zwecken als dem Zugang zur Justiz eingesetzt werden…“
Gerade diese letzte Erläuterungen ist meiner Ansicht nach sehr gut auf die missbräuchliche Geltendmachung von Betroffenenrechten übertragebar (wie etwa: Verursachen unverhältnismäßig hoher Kosten; zu anderen Zwecken als dem Zugang zur Justiz (bzw. dem Schutz personenbezogener Daten)).