Das OVG Hamburg hat sich in einem Beschluss vom 27.05.2019 (Az. 5 Bf 225/18.Z) unter anderem mit der Frage beschäftigt, wie weit der Berichtigungsanspruch des Art. 16 DSGVO reicht. Der konkrete Fall spielte im öffentlichen Bereich, kann jedoch hinsichtlich der Begründung auch für Unternehmen und deren Führung von Personalakten von Mitarbeitern relevant sein. Nach Ansicht des OVG ergibt sich aus Art. 16 DSGVO kein Anspruch, nach der offiziellen Änderung eines Vornamens, den Inhalt der Personalakte rückwirkend (auch für den Zeitraum vor der Namensänderung) der neuen Namensführung anzupassen.
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Bundespolizistin, begehrt die vollständige Anpassung ihrer Personalakte an das weibliche Geschlecht. Die Klägerin wurde mit männlichem Geschlecht und männlichen Vornamen geboren. Im Oktober 2012 wurden die Vornamen der Klägerin gemäß § 1 des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (TSG) geändert und es wurde eine entsprechende Änderung des Personenstandes vorgenommen.
Danach wandte sich die Klägerin an die Beklagte und forderte diese auf, alle Schriftstücke in der über sie geführten Personalakte an ihre jetzigen Vornamen sowie an das weibliche Geschlecht anzupassen. Sie berief sich hierzu u.a. auf § 20 Abs. 1 BDSG a.F. Das Verwaltungsgericht hatte die Klage abgewiesen.
Entscheidung
Nach Ansicht des OVG ergibt sich der geltend gemacht Anspruch zur Änderung der Vornamen in alten Schriftstücken nicht aus dem datenschutzrechtlichen Berichtigungsanspruch (Art. 16 DSGVO) oder dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG).
Nach Art. 16 DSGVO hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen unverzüglich die Berichtigung sie betreffender unrichtiger personenbezogener Daten zu verlangen.
Nach Ansicht seien die alten Vornamen unrichtig, weswegen sie zu berichtigen seien. Bereits das Verwaltungsgericht hatte dies u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass die Änderung der Vornamen keine allgemeine Ex-Tunc-Wirkung habe.
Zunächst stützt das OVG die Begründung des Verwaltungsgerichts. Die Änderung der Vornamen (in eine weibliche Form) wirkt nicht ex tunc, also in die Vergangenheit. Deswegen sind die alten Vornamen, die noch in der Personalakte vorhanden sind, auch nicht unrichtig geworden.
Sie bleiben vielmehr mit Blick auf die damalige Rechtswirklichkeit weiterhin richtig.
Da das OVG davon ausgeht, dass die personenbezogenen Daten (hier: die Vornamen) weiterhin richtig sind, lehnt es folgerichtig einen Berichtigungsanspruch aus Art. 16 DSGVO ab. Denn dieser setzt voraus, dass „unrichtige“ personenbezogene Daten vorliegen. Interessant an der Begründung ist, dass das OVG hinsichtlich der Beurteilung der Richtigkeit von Daten nicht allein auf den aktuellen Zeitpunkt abstellt, sondern quasi die historische Entwicklung eines Datums mitberücksichtigt. Ein in der Vergangenheit richtiges Datum wird also nicht dadurch „unrichtig“, dass sich die (persönlichen oder sachlichen) Verhältnisses der betroffenen Person mit der Zeit geändert haben.
Das OVG stützt seine Begründung daneben aber auch auf den Datenschutzgrundsatz der Richtigkeit nach Art. 5 Abs. 1 lit. d DSGVO.
Danach müssen personenbezogene Daten sachlich richtig und „erforderlichenfalls auf dem neuesten Stand“ sein. Nach Ansicht des OVG kommt es im vorliegenden Fall auf den jeweiligen historischen Kontext an. Daher machen
nachträgliche Veränderungen der Wirklichkeit, wie die Änderung der Vornamen und der Geschlechtszugehörigkeit der Klägerin, die über sie gespeicherten personenbezogenen Daten nicht falsch.
Man kann das OVG also so verstehen, dass der Berichtigungsanspruch nicht dazu dienen soll, die richtig dokumentierte Vergangenheit zu ändern. Vorliegend hielt die Beklagte ihre Personalakten auf dem Stand, der zum jeweiligen Zeitpunkt richtig war, um ein möglichst lückenloses Bild der Entstehung und Entwicklung des Dienstverhältnisses als historischem Geschehensablauf dokumentieren zu können. Zudem fügt das OVG noch hinzu, dass eine nachträgliche Anpassung, die aus den Akten nicht erkennbar wäre, umgekehrt gegen den Grundsatz der Datenrichtigkeit verstoßen kann.
Fazit
Zum Recht auf Berichtigung gibt es bislang noch wenige Entscheidungen. Umso relevanter dürften die obergerichtlichen Aussagen aus Hamburg sein. Wie bereits erwähnt, kann die Argumentation des Gerichts, auf deren Grundlage der Anspruch nach Art. 16 DSGVO abgelehnt wird, durchaus auch in der Privatwirtschaft, etwa im Rahmen der Führung von Personalalten und sonstigen Mitarbeiterdatenverwaltung von Relevanz sein.
Die Frage der Ex-nunc- oder Ex-tunc-Wirkung einer Personenstandsänderung bei transsexuellen Menschen hängt letztlich mit der Frage zusammen, was das Geschlecht eines Menschen – das in keinem mir bekannten einschlägigen Gesetz definiert ist – ausmacht: Hirn oder Gene & Genital. Für Gene & Genital spricht die einfach mögliche Feststellung bereits pränatal oder unmittelbar nach der Geburt (ausgeklammert den komplizierten Sonderfall der Intersexualität), und daher ist das meines Wissens auch die rechtswissenschaftlich hM . Aber wären diese Merkmale allein maßgeblich, so wäre das dt. TSG sozusagen „wider die Natur“, da ja im entsprechenden Verfahren nichts anderes passiert als die Feststellung, dass doch am Ende das Hirn (das Geschlechtsempfinden) zählt.
Könnte man als transsexueller Mensch daher beweisen, dass das eigene Gehirn immer schon anders als dem eingetragenen Geburtsgeschlecht entsprechend „verdrahtet“ war, dann wäre die ursprüngliche Eintragung des Geschlechts in den Personenstandsregistern eine zu berichtigende Falschbeurkundung, und eine solche Berichtigung müsste in der Tat zurückwirken. Wie dann allerdings nach der Geburt das Geschlecht sicher festgestellt und beurkundet werden könnte, ist eine andere (schwierige) Frage.
Es hat aber meines Wissens noch nie jemand versucht (in Österreich gestützt auf § 42 PStG 2013 statt, wie üblich, auf § 41 PStG 2013) eine solche Berichtigung (statt einer Änderung) durchzufechten. Es ist auch völlig unklar, ob man einen Sachverständigen finden würde, der die zu Grunde liegende Tatsachenbehauptung (neuro-) wissenschaftlich bestätigen könnte.
Solange das nicht passiert, wird es wohl auch keinen Anspruch auf Richtigstellung gemäß DSGVO wie im geschilderten Fall geben. Wobei die DSGVO gar nicht zwischen so etwas wie Änderung oder Richtigstellung differenziert.
Was ist aus dem bereits im TSG enthaltenen Offenbarungsverbot [des alten Vornamens] in §5 geworden?