Mit Urteil vom 31.08.2018 (Az. 6Ob140/18h) hat der Oberste Gerichtshof in Österreich (OGH) eine interessante und auch für andere Mitgliedstaaten sicherlich relevante Entscheidung zur Einwilligung und dem „Kopplungsverbot“ nach Art. 7 Abs. 4 DSGVO gefällt.
Sachverhalt
Gegenstand des Verfahrens war eine Verbandsklage wegen gesetzwidriger AGB-Bestimmungen und einer Geschäftspraktik, welche von der Beklagten, einem Unternehmen, welches den Empfang digitaler Fernsehprogramme ermöglicht, eingesetzt wurde.
Für die hiesige Besprechung sind jedoch allein die AGB-Klauseln relevant. Diese lauteten auszugsweise wie folgt:
„2. Der Kunde stimmt zu, dass die von ihm angegebenen Daten (Name, Geburtsdatum, Adresse, Telefonnummer, EMail-Adresse, Gerätenummer (Client ID) des TVEmpfangsgeräts, Internet ID) von s***** verwendet werden, um dem Kunden Informationen über das Produktportfolio von s*****TV (Aktionen, neue Angebote, neue Programme, Programmhighlights), s***** Internet, TV-Empfangsgeräte, terrestrische Empfangsmöglichkeiten, per Post, E-Mail, Telefon, SMS, Fax oder über soziale Netzwerke zukommen zu lassen sowie…Diese Zustimmung kann der Kunde jederzeit schriftlich mit Brief oder E-Mail an s***** widerrufen.“
„3. Der Kunde stimmt weiters zu, dass die von ihm angegebenen Daten (Name, Geburtsdatum, Adresse, Telefonnummer, E-Mail-Adresse, Gerätenummer (Client ID) des TV-Empfangsgeräts, Internet ID) von s***** verwendet werden, um dem Kunden Informationen über Angebote (Produkte und Leistungen) der Kooperationspartner von s***** per Post, E-Mail, Telefon, SMS, Fax oder über soziale Netzwerke zukommen zu lassen. Kooperationspartner von s***** sind Unternehmen mit Sitz in Österreich, mit welchen s***** bei der Vermarktung der Angebote (Produkte und Leistungen) von s***** zusammenarbeitet und/oder welche ergänzende Leistungen zu den Angeboten von s***** anbietet. Kooperationspartner sind F***** GmbH, O***** GmbH & Co KG, Ö***** GmbH & Co KG, Ö***** Kundenservice GmbH & Co KG und G***** GmbH.Firmenbuchnummer *****. Diese Zustimmung kann der Kunde jederzeit schriftlich mit Brief oder E-Mail an s***** widerrufen.“
Die Vorinstanzen verboten die Verwendung beider Klauseln, u.a. mit der Begründung, dass Klauseln 2 und 3 benachteiligend seien,
weil sie den Vertragsabschluss von der Zustimmung zu einer (für die Vertragserfüllung nicht erforderlichen) Datenverwendung (nämlich zu Werbezwecken) abhängig machen, womit es an einer Freiwilligkeit der Zustimmung nach § 4 Z 14 DSG 2000 („ohne Zwang“) mangle.
Urteil des OGH
Der OGH verweist zunächst, neben allgemeinen Ausführungen zum Datenschutzrecht, darauf, dass die Frage des „Koppelungsverbotes“, also ob der Vertragsabschluss von einer Zustimmung zu einer (dafür nicht erforderlichen) Datenverarbeitung abhängig gemacht werden kann, in der österreichischen höchstgerichtlichen Judikatur noch nicht behandelt wurde. Anders als in Deutschland (§ 28 Abs 3b BDSG aF) bestand in Österreich nach altem Datenschutzrecht auch keine diesbezügliche ausdrückliche Bestimmung.
Der OGH prüft den Fall jedoch nicht nur nach der alten Rechtslage, sondern auch unter Anwendbarkeit der DSGVO. Und hier wird es natürlich interessant.
Das Gericht erläutert, dass die materiell rechtlichen Voraussetzungen einer Einwilligung im Wesentlichen unverändert blieben. Jedoch enthalte die DSGVO nunmehr zusätzliche Regelungen zur Freiwilligkeit der Einwilligung in Art. 7 Abs 4 DSGVO:
Bei der Beurteilung, ob die Einwilligung freiwillig erteilt wurde, muss dem Umstand in größtmöglichem Umfang Rechnung getragen werden, ob unter anderem die Erfüllung eines Vertrags, einschließlich der Erbringung einer Dienstleistung, von der Einwilligung zu einer Verarbeitung von personenbezogenen Daten abhängig ist, die für die Erfüllung des Vertrags nicht erforderlich sind.
Der OGH nutzt zur Auslegung des Art. 7 Abs. 4 DSGVO auch den korrespondierenden Erwägungsgrund, ErwG 43 DSGVO. In diesem heißt es:
… Die Einwilligung gilt nicht als freiwillig erteilt, wenn zu verschiedenen Verarbeitungsvorgängen von personenbezogenen Daten nicht gesondert eine Einwilligung erteilt werden kann, obwohl dies im Einzelfall angebracht ist, oder wenn die Erfüllung eines Vertrags, einschließlich der Erbringung einer Dienstleistung, von der Einwilligung abhängig ist, obwohl diese Einwilligung für die Erfüllung nicht erforderlich ist.
Danach spricht das Gericht richtigerweise einen sehr relevanten Punkt bei der Auslegung und Anwendung dieser Normen an. Nach dem Verordnungstext (Art. 7 Abs. 4 DSGVO) muss dem Umstand der Koppelung bei der Beurteilung der Freiwilligkeit größtmöglich Rechnung getragen werden. Der Artikel verbietet eine Kopplung mithin nicht per se, sondern verlangt, dass im Rahmend es Tatbestandsmerkmals der „Freiwilligkeit“ den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen ist.
ErwG 43 DSGVO hingegen formuliert das Verbot einer Kopplung finaler. Nach Ansicht des OGH
spricht der Erwägungsgrund eindeutig für ein unbedingtes Verbot der Koppelung.
Dem folgend verweist der OGH kurz auf den Meinungsstand in der Literatur. Die Stellungnahmen, ob nun ein unbedingtes Kopplungsverbot bestehe, seien nicht eindeutig.
Danach entscheidet sich der OGH, ohne größere Begründung (konkret in einem Absatz), für eine restriktive Auslegung der Vorschriften.
Das Spannungsverhältnis zwischen dem Text der Verordnung und dem Erwägungsgrund 43 ist offensichtlich dahin aufzulösen, dass an die Beurteilung der „Freiwilligkeit“ der Einwilligung strenge Anforderungen zu stellen sind. Bei der Koppelung der Einwilligung zu einer Verarbeitung vertragsunabhängiger personenbezogener Daten mit einem Vertragsschluss ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Erteilung der Einwilligung nicht freiwillig erfolgt, wenn nicht im Einzelfall besondere Umstände für eine Freiwilligkeit der datenschutzrechtlichen Einwilligung sprechen.
Leider führt der OGH für diese Sichtweise keine nähere Begründung an. Meines Erachtens kann man diese Auslegungskonflikt zwischen Artikel und Erwägungsgrund aber auch genau entgegengesetzt lösen. Denn die Bestimmungen in den Erwägungsgründen sind jener Teil des Rechtsakts, der die Begründung enthält und zwischen den Bezugsvermerken und dem verfügenden Teil des Rechtsakts steht. ErwG 43 DSGVO ist gerade nicht Inhalt des verfügenden Teils der DSGVO. Wenn man so will, kann man aus Sicht der verpflichtet Verantwortlichen auch davon ausgehen, dass zwingend bindend nur die Artikel sind, wohingegen die ErwG die Begründung des verbindlichen Teils darstellen.
Dieses Verhältnis zwischen ErwG und Artikel ergibt sich auch eindeutig aus dem „Gemeinsamen Leitfaden des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission für Personen, die an der Abfassung von Rechtstexten der Europäischen Union mitwirken“ (Stand, 2015):
Die Erwägungsgründe werden im Gegensatz zum verfügenden Teil so formuliert, dass ihre Unverbindlichkeit deutlich wird.
Zumindest lässt sich der Entscheidung des OGH entnehmen, dass das Gericht nicht von einem absoluten Kopplungsverbot auszugehen scheint („grundsätzlich davon auszugehen, dass die Erteilung der Einwilligung nicht freiwillig erfolgt“). Für die Ausnahmefälle, in denen eine Freiwilligkeit gegeben ist, verengt der OGH aber meines Erachtens den Spielraum massiv. Es müssten „besondere Umstände für eine Freiwilligkeit der datenschutzrechtlichen Einwilligung sprechen“. Nach Ansicht des OGH ist die fehlende Freiwilligkeit (und damit die Unzulässigkeit der Kopplung) also wohl die Regel.
Selbst wenn man der Ansicht des OGH folgen möchte, verwundert es doch, dass das Gericht eine Vorlage an den EuGH zu dieser Frage ablehnt, „weil sich das vorstehende Ergebnis bereits aus dem Wortlaut der DSGVO und dem zitierten Erwägungsgrund ergibt“. Im Grunde hat der OGH in seinem Urteil, ein paar Randziffern zuvor, bei dem Verweis auf die umstrittene und unklare Meinungslage in der Literatur, selbst schon deutlich gemacht, dass die Rechtslage in dieser Frage nicht eindeutig ist und die Klärung durch den EuGH wünschenswert wäre. Leider hält er dies hier aber nicht für geboten.
Relevant ist die Entscheidung meines Erachtens in jedem Fall, da es sich hier um eine höchstrichterliche Befassung mit den Vorgaben des Art. 7 Abs. 4 DSGVO handelt. Inhaltlich halte ich die Interpretation der DSGVO durch den OGH auf jeden Fall für angreifbar. Eventuell müssen wir uns aber noch ein wenig gedulden, bis der EuGH zu dieser Vorschrift entscheiden kann. Auch in Italien wurde in diesem Jahr bereits zu Art. 7 Abs. 4 DSGVO entschieden (Corte Suprema Di Cassazione, 2.7.2018, 17278/2018, S. 9 ff.).