In einem Urteil vom 22.06.2017 (Az. 4 Bf 160/14) befasste sich das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) unter anderem auch mit der Frage, welche technischen und organisatorischen Maßnahmen nach § 9 BDSG zu treffen sind, um die in der Anlage zum BDSG genannten Anforderungen zu gewährleisten.
Das Verfahren betraf im Kern kein datenschutzrechtliches Thema. Die Klägerin, ein Unternehmen aus Hamburg, begehrte die Erteilung einer Erlaubnis für die Vermittlung von Lotterien im Internet ohne beschränkende Nebenbestimmungen. In einem Bescheid aus 2012 erteilte die zuständige Behörde der Klägerin die Erlaubnis als gewerbliche Spielvermittlerin Glücksspiele unter ihrer Domain zu vermitteln. Weiter enthielt der Bescheid mehrere Nebenbestimmungen, u.a. auch folgende Nummer 14:
14. Bei der gegebenenfalls für die Vermittlungstätigkeit eingesetzten Hard- und Software hat die Datensicherheit bei der Abwicklung des Glücksspiels dem von Kreditinstituten im elektronischen Zahlungsverkehr eingehaltenen Stand der Technik zu entsprechen. Der Nachweis, dass ein entsprechender Standard eingehalten wird, gilt bei Vorlage eines Zertifikates nach ISO/IEC 27001:2005 als erbracht. Die vorliegende Erlaubnis wird mit der Auflage erteilt, dass unverzüglich ein entsprechendes Zertifikat nachgereicht oder ein gleichwertiger Nachweis erbracht wird.
U. a. gegen diese Nebenbestimmung ging die Klägerin vor, da sie sie als unverhältnismäßig ansah. Das Niveau der dort vorgesehenen Zertifizierung sei außerordentlich hoch und werde von den wenigsten Wirtschaftsunternehmen eingehalten.
Nach Auffassung des OVG ist die Regelung jedoch rechtmäßig.
Das Gericht begründet seine Ansicht damit, dass die die Auflage einerseits dem Ziel des § 1 Nr. 4 GlüStV diene, wonach sicherzustellen ist, dass Glücksspiele ordnungsgemäß durchgeführt werden und die Spieler vor betrügerischen Machenschaften geschützt werden.
Jedoch gehöre auch der allgemeine Datenschutz zum ordnungsgemäßen Ablauf des Glücksspiels. Mit anderen Worten: die Vorgaben des Datenschutzrechts, auch solche zu technischen und organisatorischen Maßnahmen, muss die Klägerin in jedem Fall beachten. Nach Ansicht des OVG ist die Klägerin nach § 9 BDSG verpflichtet, die technischen und organisatorischen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um die Ausführung der Vorschriften dieses Gesetzes, insbesondere die in der Anlage zum BDSG genannten Anforderungen, zu gewährleisten.
„Das geforderte Sicherheitsniveau ist auch nicht unverhältnismäßig. Bei dem Standard nach ISO/IEC 27001:2005 handelt es sich um den weltweit gültigen Standard für die Datensicherheit. Hierauf baut auch der IT-Grundschutz-Katalog des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik auf, der im Übrigen u. a. auch den Anforderungen des § 9 BDSG i. V. m. der Anlage zu § 9 Satz 1 BDSG Rechnung trägt.“
Zu beachten ist, dass das Gesetz, also derzeit § 9 BDSG und in Zukunft Art. 32 DSGVO, keine spezifischen Vorgaben zu den umzusetzenden Maßnahmen machen, sondern allgemein beschreiben, welchen Anforderungen die Maßnahmen genügen müssen bzw. welche Zwecke mit ihnen erfüllt werde müssen. Nach § 9 S. 1 BDSG sind „technischen und organisatorischen Maßnahmen zu treffen“. Insbesondere sollen die in der Anlage zu § 9 BDSG genannten Anforderungen gewährleistet werden. § 9 S. 2 BDSG gibt zudem vor, dass Maßnahmen nur dann als erforderlich angesehen werden, wenn ihr Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck steht. Bei der Umsetzung von technischen und organisatorischen Maßnahmen ist mithin auch stets die Verhältnismäßigkeit ihrer Implementierung in der konkreten Situation zu berücksichtigen.
Nach Ansicht des OVG ist dafür, dass der in der Nebenbestimmung angesprochene Standard für die Klägerin nicht erreichbar ist, nichts ersichtlich. Das Gericht verweist hierfür auch auf die Homepage der Klägerin, auf der, jedenfalls im Hinblick auf den Datenschutz, auf eine Zertifizierung nach ISO/IEC 27001 durch den TÜV Saarland hingewiesen wird. Nach Auffassung des OVG stellt die Anforderung, eine ISO/IEC 27001 Zertifizierung nachzuweisen (und natürlich vorher die Anforderungen zu erfüllen) also keine unverhältnismäßige Maßnahme dar. Hierbei muss aber beachtet werden, dass das Gericht nur die konkreten Umstände in diesem Fall beurteilte. Darauf zu schließen, dass § 9 BDSG nur erfüllt ist, wenn eine ISO/IEC 27001 Zertifizierung vorliegt, wäre daher nicht angemessen.
Auf diese vorhandenen alternativen Möglichkeiten geht auch das OVG ein. Zunächst stellt es jedoch fest, dass die Tatsache, dass zum Nachweis eine Zertifizierung gefordert werde, nicht zu beanstanden sei. Auch wenn eine Zertifizierung gesetzlich nicht vorgeschrieben sei, dürfe eine solche im Wege einer Auflage aufgegeben werden, wenn sie dem Zweck des Verwaltungsaktes in der Hauptsache bzw. den gesetzlichen Regelungen „dient“, die für den Erlass des Hauptverwaltungsaktes maßgeblich sind.
Zuletzt ist das Gericht der Ansicht, dass das Argument der Klägerin, dass die Pflicht zum Nachweis eines entsprechenden Zertifikats aufgrund der damit verbundenen Kosten unverhältnismäßig sei, nicht durchgreife, da dieser Gesichtspunkt als rein wirtschaftlicher hinter den mit der Auflage verfolgten schützenswerten Zielen zurücktreten muss. Im Übrigen dürfe die Klägerin zum Nachweis auch einen „gleichwertigen Nachweis“ vorlegen. Der letztgenannte Aspekt ist zu begrüßen, da das Gericht hiermit deutlich macht, dass die Umsetzung technischer und organisatorischer Maßnehmen eben gerade nicht an einem bestimmten Zertifikat hängt. Der Nachweis, dass solche Maßnahmen existieren, kann auch anders erbracht werden.
Kritisch betrachtet werden kann jedoch die Auffassung des OVG, dass die mit der Umsetzung der Maßnahmen verbundenen Kosten hinter den „verfolgten schützenswerten Zielen zurücktreten“ müssen. Leider wird nicht in Gänze deutlich, ob das OVG damit tatsächlich jegliche Abwägung im Rahmen der Frage der Angemessenheit der Maßnahmen ablehnt. Dies wäre mit den Vorgaben des § 9 BDSG nur schwer vereinbar. Eine Abwägung ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung in jedem Fall vorzunehmen. Die Kosten für die Maßnahmen können als Abwägungskriterium nicht per se ausscheiden, weil die verfolgten Ziele schützenswert sind. Denn nach diesem Verständnis würden die Kosten niemals Eingang in die Abwägung nach § 9 S. 2 BDSG finden oder im Ergebnis ab einer gewissen Grenze überwiegen. Dieses Verständnis lässt sich jedoch dem Wortlaut des Gesetzes nicht entnehmen.
Das Urteil des OVG ist eine der wenigen Entscheidungen zu einer Einzelthematik des Datenschutzrechts und daher aus Praxissicht sicherlich willkommen. Zum Teil kann man die Auffassung des Gerichts jedoch mit guten Argumenten kritisch hinterfragen.
Sehr interessant, Danke!