Wir leben nicht in Nordkorea – Wie das Internet die Territorialität heraufbeschwört

Eigentlich ist es paradox. Das Internet, Sinnbild für ein weltumspannendes und offenes Netzwerk, grundsätzlich jedem zugänglich und plastisches Abbild der Internationalität, beschwört in der derzeitigen öffentlichen Debatte mehr und mehr die Rufe nach nationaler Abschottung, nach dem Einziehen von strikten einzelstaatlichen Grenzen herauf.

Nationale Überwacher zapfen die Kabel, über welche die Datenpakete im Internet versendet werden, entweder gleich direkt an oder nutzen als Anlaufstelle für Auskunftsbegehren weltweit agierende Unternehmen, die in den letzten Jahren durch ihre Internetangebote einen immensen Berg an Daten angehäuft haben. Meist sind diese Überwachungsmaßnahmen, wie etwa im Fall der Auskünfte unter dem amerikanischen Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA), auf die Daten von ausländischen Bürgern gerichtet.

Schutz der Bürger
Also Folge der in den letzten Wochen ans Licht der Öffentlichkeit gelangten Informationen über amerikanische und britische Überwachungssysteme im Netz, fordern europäische Politiker, dass die Daten ihrer Bürger gegenüber solchen Maßnahmen geschützt werden. Diese Forderungen sind berechtigt. Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sichert jeder Person in Europa den Schutz ihrer personenbezogenen Daten zu. Verpflichtet sind hier die Mitgliedstaaten. Die Forderungen sind also klar: Schutz der eigenen Bürger vor extra-territorialen Gefahren. Die möglichen Maßnahmen scheinen jedoch beschränkt. Entweder man verstärkt die rechtlichen Pflichten, welche es für internationale Unternehmen zu erfüllen gilt, oder man schafft Tatsachen.

Sollten sich weltweit agierende Unternehmen nicht an (eventuell neu zu erstellende) europäische Schutzstandards halten und Informationen, ohne angemessene rechtliche Grundlage, an staatliche Geheimdienste weiterreichen, so sehen Politiker als ultima ratio daher nur die Möglichkeit eines Tätigkeitsverbotes in der Europäischen Union. Eine faktische oder rechtliche Abschottung des eigenen Marktes. Nicht vom Internet, aber von einzelnen Diensten.

Wir leben nicht in Nordkorea
Die Lösung eines internationalen Problems wird also in national bzw. regional wirkenden Maßnahmen gesucht. Dies mag befriedigend wirken, wenn man sowieso kein Interesse an internationalem Handel, Wirtschaftsbeziehungen und digitalem Wachstum und Austausch besitzt. Wir leben aber nicht in Nordkorea. Die Welt wie wir sie kennen ist international und gerade auch durch das Internet zu dem geworden, was wir zu schätzen wissen. Ein Geflecht vieler Staaten, die sich gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich austauschen und hiervon profitieren.

Nationale Lösungen können daher nur zum Ziel, nämlich der Aufrechterhaltung der gewohnten Handels- und Austauschmöglichkeiten, führen, wenn diese einheitlich und am besten weltweit umgesetzt werden. Um auf die Überwachung durch Geheimdienste zurückzukommen. Für die nationale Sicherheit besitzt etwa die Europäische Union keine Gesetzgebungsbefugnis. Die Schaffung von Rechtsgrundlagen in diesem Bereich obliegt jedem Mitgliedstaat selbst.

Einheitliche Standards
Möchte man also nicht nur international agierenden Unternehmen europaweit privatrechtlich gewisse Pflichten zum Schutz der Daten von Bürgern aufgeben, sondern das Problem im Ganzen, auch auf staatlicher Ebene angehen, wird man nicht umhin kommen, die nationalen Grundlagen der Geheimdienstarbeit mit gewissen, international einheitlichen Standards zu versehen. Und daran fehlt es derzeit. Europäische Bürger genießen etwa gegen amerikanische Überwachungsmaßnahmen keinen Rechtsschutz in den USA, wohingegen auch US-Bürger den Schutz ihrer personenbezogenen Daten unter der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Anspruch nehmen können.

Jegliche Anstrengung, sich für ein hohes europäisches Datenschutzniveau einzusetzen wird erfolglos sein, wenn nicht auf einer anderen Ebene Verhandlungen über internationale Vorgaben angestoßen werden. Von Abschottungen oder Aussperrungen zu reden, scheint daher genau der falsche Weg zu sein, beziehungsweise würde dies einen Rückschritt für unsere (digitale) Welt bedeuten.

Unternehmen zwischen zwei Stühlen
Man mag zu dem Datenhunger der Internetriesen eine positive oder negative Meinung vertreten. Sie befinden sich jedoch derzeit und das wird häufig übersehen, zwischen zwei Stühlen. Einerseits geben ihnen national Gesetze die Pflicht auf, ohne Information an ihrer Nutzer den Geheimdiensten Auskünfte zu erteilen, anderseits dürfen sie nach europäischen Gesetzen die Daten von EU-Bürgern für solche Zwecke eigentlich gar nicht so einfach übermitteln. Egal wie sie sich verhalten, sie werden rechtswidrig handeln. Solange dies niemand merkt, besteht auch nicht notwendigerweise ein Grund für sie zum handeln. Doch nach den nun bekannt gewordenen Informationen werden sich auch Unternehmen engagieren und für vereinheitlichte Schutzstandards ihrer Kunden einsetzen müssen.

Europäische Konkurrenten
Nun mag man als Lösung vorschlagen, dass Dienste wie von Google oder Facebook dann eben national oder europaweit geschaffen werden sollten. Denn hier wäre es einfacher, die Standards des Datenschutzrechts und die Arbeit der nationalen Geheimdienste zu kontrollieren. Ein europäisches soziales Netzwerk also. Die tatsächliche Durchführbarkeit solcher Vorschläge beiseite gelassen, sollte die Furcht vor fremdstaatlicher Überwachung und der Glaube, dass Europa nationalstaatlich für bessere Vorgaben seiner Geheimdienste sorgen kann, jedoch nicht mittelbar dazu führen, den Innovationsdrang in Europa künstlich abzubremsen. Möchte man sich jedoch vor dem Zugriff, etwa der NSA, schützen, so dürfte nach derzeitiger amerikanischer Rechtslage eine europäische Cloud oder eine europäische Suchmaschine keinerlei Verbindung zu den USA aufweisen. Nur dann fänden die amerikanischen Gesetze keine Anwendung. Keine Tochtergesellschaft, kein Angebot der eigenen Technologie auf dem fremden Markt. Europäische Innovation, die von Geburt an niemals zum Exportgut werden kann. Wir leben nicht in Nordkorea.

Internationale Verhandlungen
Dass Verhandlungen über solche, national umzusetzenden Leitlinien kein Selbstläufer sind, dürfte auch klar sein. Jeder Staat ist um seine eigene, nationale Sicherheit besorgt und wird versuchen alles dafür zu tun, hier so ungehindert wie möglich agieren können. Und natürlich könnten die Bürger in Deutschland auch versuchen, ihre Politiker davon zu überzeugen, strengere nationale Regelungen zu schaffen und damit eventuell auch durchdringen. Jedoch erscheint der Nutzen, der sich aus dem Erfolg von globalen Verhandlungen und am Ende zum Beispiel von vereinbarten Abkommen ergibt, für alle mehr wert zu sein, als die Territorialisierung der Dienste im Internet und die Zersplitterung nationaler Standards voran zu treiben.

Die Lobby der Unternehmen
Ebenso wie jeder Staat auf seine nationale Sicherheit bedacht ist, so ist er auch auf Wachstum und Wohlstand angewiesen. Dieser wird sich aber vor allem mit dem Anreiz für weltweit agierende Wirtschaftsunternehmen erreichen lassen, dass sie aufgrund einheitlicher Regeln, sei es im Datenschutz oder in den Rechtsgrundlagen für eine Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen, global rechtmäßig agieren können. Diesbezüglich stellen internationale Konzerne sogar einen Motor für die erfolgreiche Angleichung der nationalen Standards dar. Denn erkennen sie, dass Nutzer ihre Dienste aufgrund von ausbleibender oder fehlender Transparenz und Aufklärung meiden, so werden sie ihren, teils gewichtigen Einfluss bei Regierungen geltend machen, um für eine Angleichung der rechtlichen Grundlagen und damit eine Akzeptanz bei den Kunden zu sorgen. Lobbying, im Sinne der Bürger.

Ausblick
Das Internet vereint die Staaten und Bürger dieser Welt. Es ist die technische Errungenschaft der letzten Jahrzehnte, aus der viele weitere Innovationen gefolgt sind und folgen werden. Informationen fließen weltweit und bilden die Grundlage unserer derzeitigen Gesellschaft und Wirtschaft, was natürlich auch private oder staatliche Begehrlichkeiten weckt. Wir dürfen und sollten für hohe Datenschutzstandards bei uns eintreten, gleichzeitig jedoch nicht versuchen, nationale Inseln des vermeintlichen Glücks in einer digitalen Welt zu schaffen, in der wir erfolgreich der Teil eines großen Ganzen sein können.

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