§ 7 Abs. 3 UWG spielt in der Praxis des Direktmarketings per E-Mail eine wichtige Rolle. Unter den dort genannten Voraussetzungen dürfen Bestandskunden auch ohne vorherige Einwilligung per E-Mail für Marketingzwecke kontaktiert werden. Generalanwalt (GA) Szpunar hat sich in seinen Schlussanträgen vom 27.3.25 (C-654/23) nun mit mehreren wichtigen Fragen zur Anwendbarkeit der europäischen Vorgabe des § 7 Abs. 3 UWG, Art. 13 Abs. 2 RL 2002/58 (sog. ePrivacy Richtlinie), befasst. Im Kern geht es um drei relevante Fragen und Aussagen:
- Was ist „Direktwerbung“? (A)
- Liegt auch bei der Bereitstellung von personenbezogenen Daten ein „Verkauf eines Produkts oder einer Dienstleistung“ vor? (B)
- Sind bei der Verwendung der E-Mail-Adresse zusätzliche die Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 DSGVO zu beachten? (C)
In der Darstellung benenne ich jeweils in Klammern immer kurz die Norm des § 7 Abs. 3 UWG, für die die Auslegung relevant ist.
Der EuGH muss in dem Verfahren noch entscheiden. Die Schlussanträge geben aber sicherlich schon eine gewisse Tendenz vor.
Sachverhalt
Das Verfahren aus Rumänien betraf die Betreiberin einer Online-Plattform, auf der Besucher eine festgelegte Höchstanzahl von Artikeln (sechs Artikel zum Zeitpunkt des Sachverhalts) kostenlos und ohne weitere Schritte unternehmen zu müssen aufrufen konnten.
Zudem wurde das Abonnement eines Premium-Dienstes angeboten. Dies setzte voraus, dass der Nutzer ein kostenloses Benutzerkonto auf der Plattform einrichtete. Die Einrichtung eines Kontos erforderte, dass der Nutzer eine E-Mail-Adresse angab und die Vertragsbedingungen für die Erbringung des Premium-Dienstes akzeptierte.
Mit diesem Abonnement des Premium-Dienstes erhielt der Nutzer das Recht auf Zugang zu zwei zusätzlichen Artikeln pro Monat und auf Erhalt eines täglichen E-Mail-Newsletters mit der Bezeichnung „Personal Update“ (es sei denn, der Nutzer hatte die Option gewählt, diesen Dienst nicht in Anspruch zu nehmen) sowie – gegen Gebühr und als Option – das Recht auf Zugang zu allen Artikeln des Mediums.
Der Newsletter „Personal Update“ enthielt im Wesentlichen Einzelheiten zu den neuen Rechtsvorschriften des Vortages mit Hyperlinks zu den entsprechenden im Rahmen des Mediums erschienenen Artikeln.
Nutzer konnten im Rahmen der Kontoerstellung angeben, dass sie den Newsletter nicht erhalten möchten. Es war ein Kästchen zum Ankreuzen vorgesehen, Zudem enthielt jeder Newsletter eine Opt-out Möglichkeit.
A. Was ist „Direktwerbung“?
(Voraussetzung nach § 7 Abs. 3 Nr. 2 UWG)
Zunächst prüft der GA, ob es sich bei dem Newsletter „Personal Update“ um Direktwerbung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 ePrivacyRL (§ 7 Abs. 3 UWG) handelt.
Die rumänische Datenschutzbehörde vertrat die Auffassung, dass dies nicht der Fall sei, da der Inhalt rein redaktioneller Natur sei.
Der GA ist anderer Ansicht. Seiner Ansicht nach bietet der Newsletter „Personal Update“ den Nutzern durch die Bereitstellung von Hyperlinks zu Artikeln auf der Internetseite der Veröffentlichung
„einen „Teaser“ zu Artikeln an, um die Nutzer zu verlocken, die acht Artikel, die sie monatlich kostenlos lesen können, schneller zu konsumieren.“
Der GA stellt hierbei auch auf den Zweck der Newsletters ab. Die Strategie, die von Herausgebern verfolgt wird, bestehe darin, die Nutzer zu verlocken, letzten Endes ein vollständiges Abonnement zu erwerben. Dies wird durch den Newsletter erreicht.
„Indem die Nutzer zum Kauf eines vollständigen Abonnements verlockt werden, wird mit dem Newsletter „Personal Update“ daher das kommerzielle Ziel verfolgt, durch das Modell der weichen Bezahlschranke Einnahmen zu erzielen.“
Der Newsletter ist daher als „Direktwerbung“ anzusehen.
B. Erlangung der fraglichen E-Mail-Adressen „im Zusammenhang mit dem Verkauf eines Produkts oder einer Dienstleistung“
(Voraussetzung nach § 7 Abs. 3 Nr. 1 UWG)
Sodann stellt sich der GA die Frage, ob die E-Mail-Adresse vorliegend entsprechend Art. 13 Abs. 2 ePrivacyRL im Zusammenhang mit dem Verkauf eines Produkts oder einer Dienstleistung erlangt wurde.
Der Begriff „Verkauf“ sei nach einer allgemein anerkannten Definition eine Vereinbarung, die notwendigerweise die Zahlung eines Entgelts für eine Ware oder einen Dienst mit sich bringe.
Aber, und diese Ansicht ist sehr wichtig: im Zusammenhang mit RL 2000/31 hat der EuGH bereits entschieden (15.9.16, C-484/14), dass die Vergütung für einen Dienst nicht notwendigerweise von denjenigen bezahlt wird, denen der Dienst zugutekommt.
Dies ist dann der Fall,
„wenn eine unentgeltliche Leistung von einem Anbieter zu Werbezwecken erbracht wird, da die Kosten dieser Tätigkeit dann in den Verkaufspreis der beworbenen Güter oder Dienstleistungen einbezogen werden“.
Und so liege der Fall hier. Wie im erwähnten Urteil, werden die Kosten der Zurverfügungstellung des Dienstes in den Verkaufspreis für die Hauptleistung – im vorliegenden Fall das vollständige Abonnement – einbezogen.
„Diese indirekte Form der Vergütung erfüllt die Voraussetzung der Zahlung eines Entgelts im Sinne der Definition des Gerichtshofs für „Verkauf“.“
Der GA belässt es aber nicht bei dieser Interpretation von „Verkauf“, sondern nimmt auch eine weitere Konstellation in den Blick – das Bezahlen mit Daten.
„dass im heutigen digitalen Zeitalter Daten selbst als eine Ware behandelt werden“.
Nach Ansicht des GA ist es daher vorstellbar, dass es für eine Datenerhebung „im Zusammenhang mit einem Verkauf“ ausreicht, dass der Nutzer anstelle einer finanziellen Gegenleistung seine persönlichen Daten im Austausch gegen eine für ihn wertvolle Ware oder einen für ihn wertvollen Dienst zur Verfügung stellt.
Bedeutet für uns: die Preisgabe von personenbezogenen Daten (etwa E-Mail-Adresse) zur Anmeldung für einen kostenlosen Dienst, kann als Verkauf im Sinne von § 7 Abs. 3 UWG angesehen werden.
C. Sind bei der Verwendung der E-Mail-Adresse zusätzliche die Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 DSGVO zu beachten?
Und zuletzt kommt eigentlich das „schönste“ Thema. Das Verhältnis von Art. 13 Abs. 2 ePrivacyRL (also bei uns § 7 Abs. 3 UWG) zur DSGVO und konkret zu den Rechtsgrundlagen nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO. Benötige ich für Bestandskundenwerbung per E-Mail eine Rechtsgrundlage nach Art 6 Abs. 1 DSGVO? Oder auch: was regelt Art. 95 DSGVO?
Art. 95 DSGVO stellt klar, dass die DSGVO natürlichen oder juristischen Personen in Bezug auf die Verarbeitung in Verbindung mit der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste in öffentlichen Kommunikationsnetzen keine zusätzlichen Pflichten auferlegt, soweit sie besonderen, in der ePrivacyRL festgelegten Pflichten unterliegen, die dasselbe Ziel verfolgen.
„Das Verhältnis zwischen der RL 2002/58 und der DSGVO wird daher durch den Grundsatz lex specialis derogat legi generali geregelt: Immer dann, wenn es eine spezifische Bestimmung in der RL 2002/58 gibt, die Verpflichtungen enthält, mit denen dasselbe Ziel verfolgt wird wie mit den entsprechenden Bestimmungen der DSGVO, ist die Bestimmung der RL 2002/58 anzuwenden.“
Diese Ansicht ist nicht unbedingt überraschend. Auch der EDSA geht grundsätzlich von diesem Verhältnis zwischen ePrivacyRL und DSGVO aus (Stellungnahme 5/2019, Rz. 45)
Extrem relevant ist jedoch die Ansicht des GA dazu, wie weit die, wenn man so will, „Spezialität“ der ePrivacyRL reicht. Was sie also erfasst und damit die DSGVO verdrängt.
Der GA geht davon aus, dass Art. 13 Abs. 2 ePrivacyRL,
„was die automatische Direktwerbung im Zusammenhang mit dem Verkauf eines Produkts oder einer Dienstleistung anbelangt, die Voraussetzungen und die Zwecke der Verarbeitung sowie die Rechte der betroffenen Person abschließend“ regelt.
Dies folgert der GA unter anderem auch aus Art. 13 Abs. 1 ePrivacyRL, der im Grundsatz eine Einwilligung für Werbung per E-Mail verlangt.
Und was bedeutet die Ansicht des GA? Man könnte etwas überspitzt sagen: „Datenschutzbehörde will not like“.
„Daher kann die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung auf der Grundlage von Art. 13 Abs. 2 der RL 2002/58 festgestellt werden. Ein Rückgriff auf die DSGVO, insbesondere auf deren Art. 6 Abs. 1 Buchst. a bis f, ist weder möglich noch erforderlich.“
Im es kurz zu machen: der GA geht davon aus, dass man für die Verwendung einer E-Mail-Adresse für Bestandskundenwerbung nach § 7 Abs. 3 UWG gerade (keine !) Rechtsgrundlage nach der DSGVO benötigt. Natürlich nur, wenn man die gesetzlichen Vorgaben des UWG einhält.
Damit stellt sich der GA auch gegen die Ansicht der deutschen DSK, etwa in der OH-Direktwerbung, und auch deutscher Gerichte. Die DSK geht etwa davon aus:
- „Weil nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f DS-GVO eine Verarbeitung personenbezogener Daten nur zulässig ist, sofern die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen, sind auch bei der datenschutzrechtlichen Beurteilung einer Verarbeitung personenbezogener Daten für Zwecke der Direktwerbung die Wertungen in den Schutzvorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) für die jeweilige Werbeform mit zu berücksichtigen“
Folgt man dem GA, gibt es hier gar keine datenschutzrechtliche Beurteilung nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO, da dieser nicht anwendbar ist.
Das ist im Ergebnis schon ein ziemlicher Knaller, wenn Sie mich fragen. Zwei Einschränkungen muss ich natürlich machen. Erstens, muss noch der EuGH entscheiden. Zweitens, gilt der Vorrang der ePrivacyRL / des UWG natürlich wirklich nur für Ziele und Pflichten, die sie regelt. Bsp: Datenschutzhinweise nach Art. 12 / 13 DSGVO wird es wohl auch weiterhin geben müssen.
Zuletzt noch eine weiterführende Idee, die aber nicht Teil des Verfahrens war: wenn mir Art. 13 Abs. 2 ePrivacyRL / § 7 Abs. 3 UWG vorgeben, dass ich nur für „für eigene ähnliche Produkte oder Dienstleistungen“ werben darf, muss ich als Unternehmen dann nicht zwingend eine Art Profil des Bestandskunden anlegen bzw. mindestens eine Kaufhistorie vorhalten? Um prüfen zu können, was er gekauft hat. Ist dann auch diese Verarbeitung, quasi implizit, aus dem Anwendungsbereich herausgenommen? Warten wir nun erst einmal, was der EuGH sagt.