Generalanwalt: Safe Harbor-Entscheidung verletzt europäische Grundrechte. Nicht Facebook.

Heute hat der Generalanwalt am EuGH seine Schlussanträge im Verfahren von Max Schrems gegen die irische Datenschutzbehörde (C-362/14) präsentiert. In der Presse (z.B. Golem und FAZ) und in Blogs (etwa bei Thomas Stadler) wurde bereits darüber berichtet und erste Schlussfolgerungen gezogen.

Ich möchte nachfolgend, nachdem ich die Schlussanträge einmal grob überfliegen konnte, auf einige Besonderheiten und besonders relevante Aussagen des Generalanwalts hinweisen, die vielleicht bisher noch nicht beleuchtet wurden.

Starke Stellung der Datenschutzbehörden

Wenig überraschend vertritt der Generalanwalt die Auffassung, dass nationale Datenschutzbehörden durch einen Angemessenheitsbeschluss der Kommission (um den es sich bei Safe Harbor handelt) nicht absolut gebunden sind und weiterhin die ihnen durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Datenschutz-Richtlinie (RL 95/46/EG) übertragenen Befugnisse ausüben dürfen. Wenn es um den Schutz von Grundrechten (im vorliegenden Fall von Art. 7 und 8 der Charta) geht, dürfen nationale Behörden eigene Untersuchungen vornehmen und erforderlichenfalls auch Datentransfers in Drittstaaten untersagen, selbst wenn ein Angemessenheitsbeschluss der Kommission existiert. Rechtlich gesprochen nimmt eine Angemessenheitsentscheidung nach Art. 25 Abs. 6 RL 95/46/EG den Aufsichtsbehörden nicht ihre Befugnisse nach Art. 28 RL 95/46/EG (vgl. Rz. 120 der Schlussanträge).

Grundvoraussetzung: gleicher Schutz

Wenn personenbezogene Daten aus der Europäischen Union heraus, auf der Grundlage einer Angemessenheitsentscheidung, in Drittstaaten übertragen werden können sollen, dann muss in diesem Drittstaat dem Grunde nach dasselbe Schutzniveau gelten, wie es durch die Vorgaben der Grundrechtecharta und der RL 95/46/EG auch innerhalb der EU existiert (Rz. 144). Ein wichtiger Baustein hierfür ist die Existenz einer unabhängigen Kontrollinstanz, die die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben überwacht und durchsetzt (Rz. 145).

Unklare Ausnahmeregelungen für Zwecke der nationalen Sicherheit

Der Generalanwalt kritisiert die in der Safe Harbor-Entscheidung vorgesehenen Möglichkeiten, für Zwecke der nationalen Sicherheit von den vorgegebenen Prinzipien zum Schutz personenbezogener Daten abweichen zu können (Anhang I Absatz 4). Der Wortlaut der Vorschriften sei viel zu allgemein gehalten und werde von Sicherheitsbehörden in den USA weit ausgelegt und genutzt, um auf personenbezogene Daten zugreifen zu können (Rz. 164).

Keine Möglichkeit des Rechtsschutzes in den USA

Ebenfalls kritisiert der Generalanwalt, dass EU-Bürger keine Möglichkeit hätten, Rechtsschutz gegen Datenverarbeitungen zu suchen, die über jene Zwecke hinausgehen, für die die Daten ursprünglich in die USA übermittelt wurden (Rz. 165).

Facebook verletzt nicht die Vorgaben von Safe Harbor

Der Generalanwalt stellt zudem klar, dass Facebook nicht gegen die Vorgaben von Safe Harbor verstößt (Rz. 168). Denn ein Zugriff von Sicherheitsbehörden auf Daten oder eine Weiterleitung der Daten auf der Grundlage nationaler Gesetze in den USA ist in der Safe Harbor-Entscheidung gerade vorgesehen. Die Frage ist daher vielmehr, ob die Safe Harbor-Entscheidung selbst (und in ihr aufgestellte Prinzipien und auch die Ausnahmen) gegen europäisches Recht verstößt. Die in der Safe Harbor-Entscheidung ausdrücklich zugelassene Weitergabe von Daten für Zwecke der nationalen Sicherheit stellt einen Eingriff in die Grundrechte der EU-Bürger dar (nicht jedoch durch die privaten Unternehmen) und muss gerechtfertigt sein (Rz. 174).

Ausnahmeregelungen in Safe Harbor verstoßen gegen Grundrechte

Die in der Safe Harbor-Entscheidung vorgesehenen Ausnahmen sind nach Auffassung des Generalanwalts viel zu offen und ungenau formuliert, um einen Eingriff in die Grundrechte aus Art. 7 und 8 der Charta zu rechtfertigen. Es existieren keine ausreichenden und genau definierten Schutzmechanismen, um eine Massenüberwachung durch ausländische Sicherheitsbehörden zu unterbinden (Rz. 202).

Verstoß gegen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Ein Eingriff in Grundrechte kann gerechtfertigt sein. Muss dafür jedoch geeignet, erforderlich und angemessen sein. Der Generalanwalt stellt klar, dass die EU-Kommission, mit Annahme der Safe Harbor-Entscheidung und ihrer Aufrechterhaltung, gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen hat und eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 7 und 8 der Charta sowie Art. 52 Abs. 1 der Charta vorliegt. Aus diesem Grund ist die Entscheidung der Kommission für ungültig zu erklären (Rz. 215 f.). Hinzu kommt nach Ansicht des Generalanwalts, dass die EU-Kommission Safe Harbor auch noch während der Verhandlungen über eine neue Version weiterhin in Kraft belassen hat (Rz. 233 und 236).

Ausblick

Abschließend möchte ich anmerken, dass man nun abwarten muss, wie der EuGH entscheiden wird. Ich denke, die Tendenz ist aber klar. Doch was bedeutet es, wenn von einem auf den anderen Tag Safe Harbor ungültig wäre? Natürlich dürften personenbezogene Daten aus Europa auch weiterhin in die USA übermittelt werden. Hierfür wäre dann jedoch eine andere Grundlage (Einwilligung, Standardvertragsklauseln, etc.) erforderlich. Ich denke zudem, dass man nicht unbedingt einen großen Gewinn für den transatlantischen Datenschutz einfährt, wenn Safe Harbor, ohne Nachfolgeregelungen, für ungültig erklärt wird. Denn dass die Datenstrome einfach aufhören zu fließen, daran kann niemand wirklich glauben. Man wird dann einfach eine Situation mit tausendfacher Rechtsverletzung kreieren. Die Unternehmen stehen natürlich zwischen zwei Stühlen. Verschiedenen, auf sie anwendbare Rechtsordnung. Auch wenn Safe Harbor fällt, werden Sicherheitsbehörden (im Übrigen nicht nur in Drittsaaten) auf Daten bei Unternehmen zugreifen. In diesem Zusammenhang sollte man sich auch einmal die Frage stellen, wie denn der Rechtsschutz und die Aufsicht über den Zugriff von Geheimdiensten bei uns in der EU ausgestaltet sind.

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